Das verborgene Wort
heraus. Das hat mich mein Onkel Jan beigebracht. In dieses Haus kommt nun nie mehr der Teufel. Agneta sprudelte noch ein paar Sätze in einem verdrehten Schwedisch, oder war es Deutsch, hervor, gleichsam zur Bekräftigung ihrer guten Tat. Wartet hier, sagte sie. Ich zeig euch was.
Wir verteilten uns wieder auf unsere Stühle und nippten an unseren Gläsern. Hatte der Kaplan den Alkohol nicht ein Einfahrtstor des Teufels genannt? Hatten wir nicht gerade miterlebt, wie der Leibhaftige aus diesem Haus und aus uns allen herausgefahren war wie aus hundert Säuen? Sogar der freche Detlev schien kleinlaut seiner reinen Seele nachzuforschen. Wir warte- ten auf Agneta. Mit einem Fotoalbum und bunt beklebten Schachteln kam sie zurück.
Habe ich euch verzählt, begann sie gewichtig, daß mein Onkel mich das von hinten Singen beigebracht hat gegen die Teufel. Aber er hat mich auch noch mehr gemacht. Mich und andere kleine Mädchen aus Lundlö. Er hat uns zu Heilige gemacht. Eine Gemeinschaft der Heiligen sind wir, sagt Onkel Jan. Ich bemerkte ihren raschen Rundblick, nicht unähnlich dem des Prokuristen bei Maternus, bevor ihn die Wespen, oder waren es doch Hornissen, angegriffen hatten. Der Blick einer Person, die sich verstohlen ihrer Wirkung versichert, ihrer Macht.
Wollt ihr wissen, wie? fragte Agneta und reckte das Fotoalbum empor. Doris' Mutter schüttelte den Kopf und lächelte nachsichtig. Ich aber brannte darauf. Las dieselbe Begierde in den Augen der katholischen Mädchen, besonders in Klara Müllers Blick. Ihre Mutter hatte für Wochen die Familie verlassen und war als Beterin mit dem wortgewaltigen Pater Leppich und seiner Zeltmission durch Deutschland gezogen.
Einmal in der Woche, begann Agneta, besuchen wir den Onkel. Da singen wir Lieder gegen die Teufel und werden sauber. Dann gibt uns der Onkel schöne Kleider. Und dazu Palmenzweige und ein dickes großes Buch oder eine Lilie und noch so andere heilige Sachen gibt er uns vor die Brust. Und dann sagt er, stell dich hierhin und dahin und so und so. Agneta reckte sich auf Zehenspitzen, warf die Arme verzückt gen Himmel, verharrte so sekundenlang, legte eine Hand auf die Brust, streckte die andere nach oben, warf den Kopf mit weit aufgerissenen Augen in den Nacken und schaute uns beifallheischend an. Ich suchte Klaras Blick, wir schüttelten verstohlen die Köpfe.
Das ist ja sehr schön, sagte Doris' Mutter. Aber heilig ist doch wohl etwas anderes, mein Kind.
Agneta antwortete nicht, stand auf, legte Frau Granderath das Album in den Schoß und reichte die bunte Schachtel mit vorwurfsvollem, gespanntem Blick herum: Postkarten. Fotos mit immer demselben Motiv: Agneta. Ein Schulmädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren in einem Gespinst aus schleierfeinem Gewebe mit scharf sich im Gegenlicht abzeichnendem Leib, kaum gewölbten Schenkeln und Hüften, knospender Brust.
Siehst du, Hilla, Agneta schaute mir über die Schulter, was du da siehst, ist die heilige Hildegard. Sie tippte ein paarmal auf den unteren Bildrand. >Den heliga Hildegaad<, stand da, >skadade upp mot himlen.<
Und das hier ist die heilige Elisabeth. Diesmal hielt Agneta, ähnlich dünn bekleidet, ein Körbchen vor ihrem Unterleib. Zwischen zwei hoch aufgewölbten Brotkugeln stak ein Flaschenhals. Heilig?
Doris' Mutter blätterte das Album flüchtig durch: Kennen deine Eltern diese Fotos, Agneta? fragte sie, bemüht, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen.
Ja, ja, erwiderte Agneta stolz. Das ist Kunst, sagt der Papa. Aber der Onkel sagt, es sind heilige Bilder. Er verkauft sie in die Kirche und Kloster. Jeden Monat kriegt der Papa Geld vom Onkel. Dann fahre ich mit dem Papa in die Stadt und kriege ein neues Kleid.
Aha, Kunst, sagte Doris' Mutter trocken und klappte das Album zu. Ich denke, wir haben jetzt genug gesehen, Agneta. Es ist ja auch Zeit, nach Hause zu gehen.
Auch ich mußte gehen. Mein Platz bei Doris war besetzt, von Agneta. Ich mochte sie nicht und mußte sie doch bewundern. Sie schlief jetzt bei Doris jede Nacht, und ich wurde gepeinigt von Mutmaßungen. Zwei Blonde, zwei Schöne in schönen Kleidern, die sie sich gegenseitig von den Schultern streiften. War ich eifersüchtig? Konnte ein Mädchen auf ein Mädchen bei einem Mädchen eifersüchtig sein? Auf ein Mädchen bei einem Mann gewiß, das hatte ich immer wieder gelesen. Gelesen und gehört, etwa wenn die Mutter von Hanni und Rudi erzählte. Rudi, so die Mutter, könne von seinen Reitschülerinnen nicht lassen, und die
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