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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Aussteigen anhielten, lehnten Jungen und Mädchen am Gestänge des äußeren Kreises, lässig wie Peter Kraus und Conny, halbstark vom Scheitel bis zur Sohle. Vom Scheitel, bei den Jungen eine hohe pomadige Stirnlocke, bei den Mädchen Ponyfransen oder Haartürme. Bis zur Sohle der zweifarbigen Halbschuhe oder Pfennigabsätze. Im Rasseln der Wagen, im Aufheulen der Sirenen, im Anprall der Musik war an Reden nicht mehr zu denken. Sobald mir der Lärm das Wort abschnitt, ließen Birgit und Inge mich links liegen, wurden Teil der Raupe, des Rummels, der Kirmes, gehörten fußwippend und den Kopf in den Nacken werfend, die Haare aus der Stirn streichend, die Hüften rechts oder links herausdrückend, dazu. Bei meinem Versuch einer anmutigen Kopfbewegung knackte mein Nackenwirbel, das Gewicht mit einem Hüftschwung aufs linke Bein verlagernd, verknickte ich mir den Fuß. »Marina, Marina, Marinas klopfte ich ein paarmal mit dem Absatz auf die Raupenbretter und sehnte mich nach den Leuten von Seldwyla.
    Da sah ich auf der anderen Seite der Plattform Peter Bender.
    Er war nicht allein. Das robuste Mädchen daneben gehörte zu ihm. Später erfuhr ich, daß sie aus Strauberg kam, wo ihr Vater ebenfalls eine Gärtnerei betrieb. Sie hatte aschblondes Haar, treppenförmig gestuft bis auf die Schultern, runde Lippen zu einem Oh geöffnet, als versetze die Welt sie in ein beständiges Staunen. Ihre kräftige sonnenverbrannte Hand zupfte an Peters Oberarm. Peter tat, als merke er nichts. >Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt<, stiegen sie kaum zwei Meter von mir entfernt in einen Raupenwagen. So, wie mich Peter noch immer nicht sah, war klar, daß er mich längst gesehen hatte. Linkisch, die ebenmäßigen Züge regloser noch als sonst, schob er sich neben seine Begleiterin. >Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein< jaulten die Lautsprecher, der Wagen ruckte an.
    Der kleine Kerl neben mir rückte noch ein Stück näher. Ich war ihm schon ein paarmal ausgewichen. Diesmal blieb ich stehen. Er gefiel mir mitnichten. Aber er war da. Birgit und Inge hatten anfangs mit wechselnden, dann stetigen Begleitern schon eine Runde nach der anderen gedreht, waren mit immer stärker geröteten Gesichtern unter dem Verdeck der Raupe wieder aufgetaucht, die Hände im Schoß, die Blicke verschwommen. Merkwürdig steifbeinig waren sie mit verrutschten Röcken und Frisuren aus den Coupés gestiegen, manchmal erst nach drei oder vier Runden hintereinander.
    Die Sirene heulte auf, das Verdeck setzte sich in Bewegung. Im Augenblick, als Peter mit dem aschblond gestuften Mädchen an mir vorüberfuhr, klappte es zu. Der Kleine rückte wieder näher. Fährs de mit, nächste Runde? schrie er mir ins Ohr und preßte seine Schulter an meine. Ich rührte mich nicht. Grinsend löste er sich vom Geländer und stapfte zur Kasse. Er war kurz, aber kraftvoll gewachsen, ein Kerl wie ein Schränkchen; hatte ein ebenso eckiges, fast quadratisches Gesicht, in dem das pralle Lippenpaar wie ein Knauf zum Aufziehen saß. Wir reihten uns ein, wortlos. Als wir einstiegen, sah ich, ohne hinzusehen, daß hinter uns Peter und das Mädchen gerade ausstiegen. Beide Gesichter hatten eine ganz normale Farbe, und weder Kleid noch Frisur der Aschblonden waren zerknittert.
    Zum ersten Mal saß ich nun in der Raupe, nichts für Kinder, >Cindy, o Cindy<.
    Esch kumm us Hölldörp, sagte der kräftige Kleine. Sein Atem stank nach Bier. Peter lehnte am selben Platz wie zuvor, eine Hand in der Hosentasche, der andere Arm verschwand hinter dem Rücken des Mädchens. In jeder Kurve ließ sich der Vierkantige schwer auf meine Schulter fallen und schrie >ah<, >wau<, >uh<, bierdunstige Urlaute. Dann kam die Sirene und dann das Verdeck. So gut es ging, kehrte ich meinem Begleiter den Rücken zu und umklammerte meine weiße Handtasche, die ich mir, passend zu den weißen Schuhen vom vorigen Jahr, in diesem gekauft hatte. Sie war an den Ecken mit Metallkanten versehen.
    Leichtfüßig hüpfte ich aus der Gondel, sah, als sähe ich nicht, daß Peter zu mir sah, als sähe er nicht. Hold lächelte ich meinen Hölldorfer an.
    Jonn mer Feschbrütsche [63] esse? fragte der, und ich nickte beseligt. Fest schaute ich an Peters linkem Ohr vorbei, fühlte mich schön und stark, verführerisch und böse, hätte mir von Herodes Johannes' Kopf gewünscht wie weiland Salome. Ich ging Fischbrötchen essen. Mit dem Hölldorfer.
    Wo jehs de op Arbeed? fragte der mich jetzt und faßte mich schärfer ins

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