Das verborgene Wort
anderen, davon verstand ein Evangelischer nichts.
Mich aber hielt es in diesem Jahr nicht im Holzstall. Am Samstagnachmittag stand ich hinter den Gardinen und spähte nach Birgit, um wie von ungefähr aus dem Haus zu schlendern und mich ihr anzuschließen, wenn sie die Straße hinunterkam. Ich wartete über eine Stunde. Balancierte in meinem palmolivegrünen Besten auf meinen Pfennigabsätzen, die Haare zur Hochfrisur getürmt, höher als Audrey Hepburn in >Ein Herz und eine Krone<. In meiner Handtasche ein Reclamheft und fünf Mark. Ich wollte schon aufgeben, mich umziehen und hinterm Hühnerstall verkriechen, da sah ich Inge Drescher - wie Birgit Lehrling in einem Lebensmittelladen - die Straße hinaufgehen. Ein Griff zum Kopf, mein Haarturm stand. Da kamen sie, Arm in Arm. Ich warf das Gartentor ins Schloß: Geht ihr auch auf die Kirmes? So ein Zufall! Ich auch.
Meine Gesellschaft war den beiden nicht recht. Sie hatten ihre
Geheimnisse. Ich störte. Das mußte ich in Kauf nehmen. Allein auf die Kirmes zu gehen, war undenkbar. Geradesogut hätte ich mir sonntags auf dem Kirchplatz den Rock ausziehen können. Nur mannsdolle Wiever gingen allein auf die Kirmes. Ich stolperte neben den Freundinnen her. Die tuschelten, als wäre ich gar nicht da. Schon nach wenigen Minuten sehnte ich mich nach meinem Schuppen.
Wie jeht et dir? fragte Birgit schließlich mitleidig. Ich zuckte die Achseln und begann, mit echter, wenn auch übertriebener Bewunderung, Birgits und Inges Kleider zu preisen, ging dabei in immer neuen Vergleichen so ins Detail, daß ich die Freundinnen aus ihrem traulichen Arm-in-Arm herausredete und zu mir hin. Meine Wörter machten ihre Fähnchen zu Gewändern, Baumwolle zu Samt und Seide, Glasperlen zu Geschmeide, Bronze zu Gold. Ich sah die beiden wachsen, sich aufrichten unter meinen Wörtern, bis wir selbdritt den Schinderturm durchschritten, schön, stolz, in Vorfreude leuchtend.
Hinter dem Schinderturm hörte man schon die Musik. Kirmesmusik. Ein unentwirrbares Melodienknäuel, das wuchs, ohne sich zu ordnen, je näher wir dem Platz zwischen Anlagen und Rheinwiesen kamen. Brachland, zweimal im Jahr für Schützenfest und Kirmes genutzt, früher auch von Zigeunern und Kesselflickern, einem ärmlichen Zirkus bisweilen.
Seit Jahren war ich nicht mehr auf der Kirmes gewesen. Hier ging es zügelloser her als auf dem Schützenfest. Der Kirmes fehlte die pfingstliche Schirmherrschaft des Heiligen Geistes und Sankt Sebastianus' feierlicher Ernst. Seit der Großvater tot war, machte ich mir auch aus Schützenfesten nichts mehr. Im letzten Jahr war Johann Pieper Schützenkönig geworden und hatte mich als Ehrenjungfrau eingeladen. Wie hatte ich mich früher nach einem Platz in dieser Kutsche mit den goldenen Zierleisten, Eichenlaub und Eicheln gesehnt, wie die Mädchen beneidet, die in duftigen Kleidern dem König zur Seite saßen, wenn die Rosse trabten und die Kutsche gen Kirche oder Pück- lers Sälchen rollte. Was kümmerte es mich, daß der König bis zu diesem Tag ein Metzger gewesen war, seine Königin hinter der Theke Wurst, dicke Rippen und anderes königlich geschlachtetes Vieh stückweise verhökert hatte. Die grünen Uniformen mit sil- bernen Knöpfen, der grün-weiß gefiederte Helmbusch, die golddurchwirkten dunkelsamtenen Schulterstücke verliehen über Nacht jedem Dondorfer genug Majestät für drei Tage. Sogar Karrenbroichs Ackergäule setzten die Hufe selbstbewußt und stolz. Hinter der Kutsche marschierten die Schützenbruderschaften aus Dondorf und Umgebung, die Kapellen zuerst, die Kutsche umbraust von Pauken und Trompeten. Der Großvater hätte mich sehen sollen, mich in der Kutsche mit aufgelösten Zöpfen, Blumen im Haar und in den Händen. Alle hätte ich ihm zugeworfen, weiße Margeriten, ihm, dem Großvater, an dessen Hand ich den Umzügen entgegengelaufen war. Der Großvater war tot.
Noch immer zog das Schützenpaar mit den Ehrenjungfrauen unter Orgelbrausen »Großer Gott, wir loben dich< in die Kirche ein, fuhr die Kutsche die Kirchstraße, Marktstraße, Schulstraße entlang, durch den Schinderturm zum Rathaus, spielte die Kapelle >Mit dem Pfeil, dem Bogen< und >Am Brunnen vor dem Tore< vor den Häusern der Honoratioren. Doch am Abend würde ich mitgehen müssen in Pücklers Sälchen zum Schützenball. Samstags, sonntags und montags würde ich mit Schützenbrüdern essen und trinken und reihum tanzen müssen. Don- dorfer Männer, sonst nichts. Der Zauber war mit dem
Weitere Kostenlose Bücher