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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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war mir zuwider. Nicht weniger als drei Maschinen hatte ich reparaturreif gehämmert, die buchstabenbeschuhten, stählernen Beinchen derart durcheinanderspringen lassen, daß sie sich verhakten wie die Beine eines verrückten Tausendfüßlers. Meine ganze Verachtung für dieses kalte Handwerk trieb ich mir aus den Fingerspitzen, weidete mich an den Bocksprüngen der Buchstaben. Während die anderen in der Beherrschung des Fortschritts fortschritten, brachte ich es zu immer besser getarnten Rückschritten. Selbst die mißtrauische Lehrkraft mußte schließlich glauben, es liege wohl an den Geräten.

Seit ich schreiben konnte, liebte ich das lautlose Gleiten meiner Hand über den offen und frei vor mir liegenden Bogen, nichts zwischen der Verwandlung der Schwingungen meiner Nervenzellen in Schwünge auf dem Papier. Ich liebte den Anblick meiner Hand, meiner schreibenden Hand, die Haltung von Daumen, Zeige- und Mittelfinger, die Willfährigkeit des Schreibgeräts. Die Kinderfaust mit dem Griffel auf der Schiefertafel verschwand in der älter werdenden Hand mit dem buntmelierten Federhalter, verschwand in der mit dem Kolbenfüller, Pelikan-Tinte königsblau, Bleistifte lagen in meiner Hand, Kugelschreiber, egal. Von Anbeginn war es mir gleichgültig, womit ich schrieb, allein die Bewegung zählte, das Aufspapierbringen der Buchstaben, Wörter und Sätze. Den Körper verlängern in der Schrift; sein Innerstes nach außen kehren. Gedanken sichtbar machen. Mich sichtbar machen. Mich schreiben, mich befestigen. Ding-fest machen. Meine Hand auf dem Papier sagte mir: Du mußt ja nicht weinen. Fürchte dich nicht! Nicht die Hand des Vaters, nicht die Augen der Mutter tun dir weh. Du bist richtig, sagte die Hand. Solange du schreibst, bist du nicht allein. Auf dem Papier bist du nie allein. Papier war geduldig, drängelte, nörgelte nicht. Papier war still. Ich liebte den Ton des Stiftes auf dem Papier, seine feine Musik, Musik, nach Worten gegliedert, dem Fluß der Gedanken, Gedanken in Worte gegliedert, Punkt und Komma, die Verschwendung des Semikolons, seine Unentschiedenheit, das Offenhalten der Möglichkeiten, beides anbietend, Innehalten und Fluß; Pause und Vorwärtsdrängen. Das sachte Pochen, wenn der Stift zu einem Punkt ansetzt, zur Ruhe. Danach das Heben des Stifts in eine Waagerechte, weitereilen und im Weitereilen zweimal zum i-Punkt wieder zurück, wie im Leben, immer vorwärts und zum Innehalten noch einmal zurück. Die Maschine brachte ein i mit Punkt aufs Papier, als käme ein Kind gleich mit Zähnen auf die Welt. Welch ein Verlust von Rhythmus und Melodie. Auch den u-Strich führte ich wieder ein, Schutzstrich, Schutzhülle, Flügelschlag, munterer Überfluß.
    Von Anbeginn war die Schreibmaschine nur ein Ärgernis, Hindernis zwischen mir und der Schrift. Es nicht zu überwinden eine Frage der Ehre. Nichts außer meiner Hand sollte meine geliebten Buchstaben hervorbringen. Ich wollte sie nicht an eine
    Maschine verraten. >Ich möchte lieber nicht, sagte Bartleby.< Er war mein Bruder.
    Einem Lehrer zuliebe hätte ich diese Abneigung vielleicht gedämpft. Doch meinen Widerwillen verstärkte bereits die Erscheinung seiner Person. Er war lang, gelb und mager, ein Komma in schlechtgebügelten Hosen und enganliegenden Rollkragenpullis aus dünnem Lycra, unter dem sich die Rundungen seines Unterhemds abzeichneten. Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln und bewegte sich von dort im Laufe einer Unterrichtsstunde als schlierige Spur in Richtung Kinn, ohne jedoch jemals auf den Kragen zu tropfen. Wie Hagel auf zarte Pflänzchen im Mai eiferten seine Spottgewitter auf uns nieder, nie wußte man, wann und warum. Selbst Doris, die zu Hause täglich auf ihrer Reiseschreibmaschine übte und nahezu perfekt war, entging den Unwettern nicht. Meine Mißachtung seines Lehrstoffes muß er mit dem Spürsinn des altgedienten Paukers gleich gewittert haben. Stellte mich als unbegabte Idiotin dar und enthob mich damit moralisch jeder Anstrengung, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Das Ausreichend in Stenographie und Maschineschreiben war ein Gnadenakt, gewährt auf Drängen der Lehrerkonferenz. Meine Leistungen waren ungenügend.
    Noch Fragen, schloß Herr Busche seinen Vortrag über Firmengründer und harte Zeiten. Ich griff nach meinem Matchbeutel, Busche warf mir einen stechenden Blick zu. Alle hatten Fragen, ihnen konnte gleich sein, ob Sigismund seit Stunden im Regen stand, durch den Regen fuhr, mir entgegen oder schon

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