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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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lassen konnte, was er wollte, Tun und Wollen zur Übereinstimmung bringen konnte. Was hätte er an meiner Stelle getan? Der feine Knabe im Büro, Frau Wachtel vis ä vis?
    Die Schlaglöcher des Feldwegs waren notdürftig mit groben Steinen gefüllt. Ich stieg ab. Alles war da: Kopfweiden und Weißdorn, Holunder und Haselgesträuch, Erlen und Pappeln am Horizont, Kohl, Rüben und Bohnen, ein paar Schafe im Pferch, der Schäfer im Karren oder auf seinen Stock gestützt. Der Rhein. In den Wiesen blühten schon ein paar der Blumen, die ich im letzten Sommer mit Peter und dem Bruder bestimmt und zusammengetragen hatte. Wie lange war das her. Ein anderes Leben. Ich holte den Zettel unter meinen Zehen hervor, die Tinte war ein wenig zerlaufen, legte mein Rad ins Gras, setzte mich daneben, saugte die Wörter ein, ihren Rhythmus, den Klang, wusch mich mit den stolzen hochgemuten Zeilen, schrubbte mir den Dreck der Wachtelschen Blicke aus den Augen, ihre Stimme aus den Ohren, den Geruch der Intimität eines Achtstundentages von der Haut mit schönen Wörtern und schönen Anblicken auf>veiel unde gruenen kle<. Morgen würde ich mir ein Gedicht von Walther von der Vogelweide in den Schuh stecken. Heute taten die klassischen Zeilen ihre Wirkung. Ich sprach sie in allen Tonlagen, aus dem Flüstern der Wiesen in das Rauschen des Rheins, in das Rauschen der Pappeln, der Weiden, das Kreischen der Möwen, bis nichts mehr auf Erden war - >Wozu sind wir auf Erden? Um Gott zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen< - als dieses Flüstern und Rauschen, Kreischen und Zeilenlauten, bis die Zeit sich auflöste, in die Ewigkeit dehnte, bis am Ende die Wörter selbst sich auflösten, sie hatten ihre Schuldigkeit getan, sie konnten gehen, zurück in die Dinge, die Formen, die Laute, das Ungeformte, die Stille, bis ich das Gras wachsen hörte: ein beharrliches Trommeln unter der Erde, ein Zischen millionenfacher grüner Zungen, Gasflämmchen, und dazwischen das vorsichtige Pochen der Margariten, die ihre weißen Strahlen noch eng und winzig in grünen Knöpfen verbargen.
    Es gab ein Leben ohne Papp und ohne Frau Wachtel. Die Bücher lebten und die Wiesen, und sie waren mächtiger als Fabriken und Geld.
    Wo wors de su lang, fragte die Mutter, Ungeduld und Unwillen mühsam unterdrückend. Mer wade ald all op desch.
    Die Großmutter kochte Kaffee, die Tante - sie war eigens wegen der Neuigkeiten vorbeigekommen - packte ein Stück Streuselkuchen vom Sonntag aus. Die Mutter räumte für mich das >Bonifatiusblatt< vom Stuhl. Ich wurde empfangen wie Besuch.
    Was es zu essen gegeben habe, wollte die Mutter wissen.
    Hühnersuppe, Klopse, Erbsen und Möhren.
    Ken Ääpel? fiel mir die Großmutter ins Wort.
    Doch, sagte ich, Kartoffeln auch und Soße mit Kapern. Und als Nachtisch Schokoladenpudding.
    Die Tante sah mit unverhohlener Gier auf meinen Mund, als könnte sie sich vom bloßen Klang der Gerichte sättigen, und hieb in ihr Stück Streuselkuchen. Schokoladenpudding! Die Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, die Großmutter nickte befriedigt. En Essen wie bei Bürjermeesters, sagte sie. Zupp, Fleesch, Jemöös und Pudding. Oder Kompott. Unddie Mutter fügte hinzu: Un du bruchs kenne Fenger doför krumm ze mache.
    Un met wäm setz de zesamme, fragte die Tante lauernd, als forsche sie nach einem Knastbruder.
    Mit Frau Wachtel, antwortete ich.
    Die ahl Schachtel? Die Tante verschluckte sich. Dat Minsch es doch ald zweimol jeschieden. Dat es doch kenne Ömjang för e jong Weet.
    Jesses Maria, schrie die Großmutter und bekreuzigte sich. Scholdisch?
    Dat weeß esch nit, erwiderte die Tante. Avver dat Wiev es henger jedem her. Et kütt jo us Hölldörp, ävver et wollt ens hie in Dondörp en dä Kerschechor. Nur wejen de Kääls. Dobei kunnt et kenne Ton rischtisch treffe.
    Die Großmutter war nicht zu beruhigen. Scholdisch oder nicht, das mußte sie rauskriegen. Daß ihre Enkelin bei einer schuldig Geschiedenen in die Lehre ging, würde sie nicht zulassen. Die Tante versprach, Erkundigungen einzuziehen, wie sie mit hochdeutsch gespitzten Lippen formulierte. Was dat Minsch gesagt und getan habe, wie es angezogen sei, welche Haarfarbe es jetzt trage. Ob wieder ein Mann im Spiel sei, wollte sie wissen. Daß sie rauche wie ein Schlot, entlockte der Großmutter ein weiteres Jesses Maria. Die Tante nickte wie ein Kommissar, der seinen Verdacht bestätigt sieht: Schuldig Geschiedene rauchen Kette.
    Beim Abschied gab sie mir noch

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