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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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seinen Fingernägeln, die Stummel bedeckten kaum noch das rohe Fleisch des Nagelbetts. Gierig sahen ihre farblosen Augen auf meine Blätter. Als unsere Blicke sich trafen, machte sie mir ein Zeichen, kramte in ihrer Tasche, schob die geschlossene Hand über unseren gemeinsamen Tisch bis vor meine Brust und öffnete sie. Zwei Markstücke lagen darin. Die mit Geld gefüllte Hand bettelte mich an. Und erlöse uns von dem Übel. Amen. Dem Übel der weißen, wortlosen Seiten, warum ich Industriekaufmannsgehilfe werden will, nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ich nahm das Geld und schrieb. Ich, Anita Pütz, schrieb ich, schreibe für mein Leben gerne Schreibmaschine. Kaum etwas Schöneres gebe es, als von morgens bis abends mit flinken Fingern über die stählernen Tasten zu huschen - sekundenlang tauchten die abgekauten Stummel der Mauspfoten vor mir auf - und die kleinen schwarzen Zeichen auf dem Papier sich niederschlagen zu sehen. Von der Stenographie schrieb ich, diesem Segen der Menschheit, schrieb von Schnelligkeit und Eleganz und vor allem natürlich von der Wirtschaftlichkeit dieser Methode. Papier spare man und Bleistifte, unschwer könne man sich die Ersparnisse in Zentimetern, ja Metern, in Pfennig und Mark ausrechnen. Draht und Nägel wurden in Anitas Firma hergestellt. Ohne diese herrlichen Erfindungen, so mein Schlußsatz, säße die Menschheit noch in Höhlen oder Bretterbuden, die jederzeit zusammenfallen könnten. Anita sah mich mit vor Dankbarkeit schwimmenden Augen an, raffte die Blätter zusammen, schrieb sie ab, legte sie aufs Lehrerpult und huschte hinaus.
    Ein leises Schulterklopfen ließ mich zusammenzucken. Hinter mir duckte sich ein Junge aus der Nebenbank, seine leeren Blätter in der Hand. Mein Handel mit Anita war nicht unbemerkt geblieben. Wieviel, flüsterte er. Ich schielte nach hinten. Er gefiel mir nicht. Vier, flüsterte ich. Zwei jetzt, zwei später, versuchte der Unsympathische zu handeln. Ich beugte mich über mein Buch, bis erneut an meine Schulter gepocht wurde, diesmal mit dem nötigen Silber. Rolf Monzel, las ich. Gondelmann und Söhne. Hausschuhe und Gummistiefel, wisperte er.
    Für ihn schrieb ich von der Verantwortung eines jungen Mannes, der einmal eine Familie gründen und ernähren will. Ohneden krisenfesten Beruf des Industriekaufmannsgehilfen war nicht daran zu denken, ins Leben zu treten. Und, schloß ich elegant, wer ins Leben tritt, braucht Schuhe. In schweren Zeiten Gummischuhe. Und für die schönen Stunden an Heim und Herd darf der Mann aus dem Leben in den Hausschuh treten. Einfach hineinschlüpfen und sich wohl fühlen.
    Am Ende wurde die Zeit knapp. Punkt fünf schaute Herr Zender von seinem Buch auf, klappte es zu: Feierabend. Ich legte meinen Aufsatz auf den Haufen und ging. Sechs Mark in drei Stunden. Dafür hätte ich bei Maternus viermal so lange gebraucht. Ach, wir Armen.
    Draußen wartete Trudi. Strahlend. Einen Aufsatz habe sie schreiben sollen: Warum ich Verkäuferin werden will? Sie habe sich aber auf nichts besinnen können, weil sie Angst gehabt hätte, dann das Gedicht zu vergessen. Schließlich habe sie das Gedicht einfach hingeschrieben. Da sei ihr wieder eingefallen, wie gerne sie den Leuten etwas verkaufe, Mehl und Zucker abwiege und in Tüten fülle, Wurst und Käse schneide, in Pergament verpacke, über die Theke reiche. Einfach alles. Ob das an dem Gedicht gelegen habe? Bestimmt, sagte ich.
    Anderntags ging ich mit der Mutter auf den Friedhof. Wir führten mein Fahrrad zwischen uns, mit einer Hand balancierten wir eine Kiste Begonien auf dem Sattel, mit der anderen hielten wir den Lenker fest.
    Die Mutter trug ihren Kittel. Auf der Kittelschürze banden und wanden sich Rosen und Vergißmeinnicht zu Sträußen und Kränzen, von Herzen verknüpft, Doppelherzen, in stetiger Folge über den Rumpf der Mutter bis zu den Knien und Ellenbogen, himmelblaue Baumwolle mit Blumen und Herzen. Sie hatte Kartoffeln gepflanzt und sich die erdigen Hände an den Hüften abgewischt, hatte die Böden mit grüner Seife geputzt, aus dem Drillich des Vaters auf dem Waschbrett die ölige Schmiere in beißend heißer Lauge geschrubbt; Rotkohl gekocht und saure Bohnen, Rippchen geschmort und Pflaumenkuchen gebacken, Apfelpfannekuchen mit Zucker und Zimt. Das alles konnte ich auf dem Kittel der Mutter lesen. Ihre Sehnsucht nach Schönheit, nach Gleichklang und Harmonie und die Spuren der Arbeit, die
    Spuren des Lebens einer Arbeitswoche. Erst wenn wir

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