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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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schnurgerade, millimetergenau, nicht zu weit nach hinten, nicht zu weit nach vorn, Ordnung muß sein.
    Ein Stenoblock flog auf meinen Schreibtisch. Bleistift, kommandierte Frau Wachtel. Auf geht's! Diktat bei Dr. Viehkötter!
    Der Bleistift fiel mir aus der Hand, rollte unter den Tisch. Ich krabbelte hinterher, hätte mich am liebsten im Papierkorb verkrochen und losgejault.
    Frau Wachtel war fertig. Ihr Mundstrich glänzte in frischem Blut, ihr schwarzes Stroh hatte sie zu einer kunstvollen Banane toupiert, so empfahl es >Praline<, zwei Strähnen mit Spucke auf den Schläfen zu Kringeln gedreht, ein Königspudel mit angelegten Ohren.
    Aus Dr. Viehkötters Zimmer drang eine Stimme, offensichtlich telefonierte er. Frau Wachtel zögerte. Wir warteten. Die Stimme setzte aus. Frau Wachtel straffte sich, beugte den Zeigefinger, Anklopffinger, die Stimme setzte wieder ein, der Finger zuckte zurück. Es klickte, ein Telefonhörer fiel auf die Gabel. Frau Wachtel schrak zusammen. Klopfte. Klopfte, als prüfte sie feinstes Porzellan auf einen Sprung. Ihre zitternde Banane auf dem Hinterkopf wies nun wirklich jene leichte Krümmung auf, die diesen Früchten eigentümlich ist.
    Dr. Viehkötter war etwa Ende Fünfzig, hatte ein fülliges, blasses Gesicht und eine hohe, blasse Stirn. Sein Bauch hing über den tiefgeschnürten Gürtel. Die schnarrende Habtachtstimme steckte in der rundlichen Hülle des Dr. Viehkötter als ein ungemütliches Gegenteil.
    Das ist also unser neuer Lehrling, Fräulein, hm, der Mann warf einen Blick auf einen Aktendeckel. Fräulein Palm. Fräulein Hildegard Palm. Willkommen bei der >Papier und Pappe GmbH<.
    Zu spät. Was tun? Ich war ins Zimmer des Vorgesetzten meiner Vorgesetzten, des Herrn meiner Herrin, getreten und hatte vergessen, die Zahnklammer herauszunehmen.
    Guthschen Thschag, sagte ich durch meinen Draht- und Plastikverhau hindurch. Dr. Viehkötter schaute irritiert. Frau Wachtel nicht minder.
    Setzen Sie sich, bitte. Dr. Viehkötter deutete auf zwei lindgrüne Plastiksitze.
    Tschanke, sagte ich.
    Nun, und wie hat die erste Woche geschmeckt, Fräulein Palm?
    Guthsch, antwortete ich.
    Auf Viehkötters Schreibtisch standen zwei Fotos. Das kleine zeigte eine mütterlich wirkende dickliche Frau und zwei pummelige Kinder, das größere Dr. Viehkötter in einer Phantasieuniform, eine breite, gestreifte Schärpe über der Brust, die Kappe mit einem schmalen, gleichfalls gestreiften Band verziert. Auf der linken Wange des jungen Dr. Viehkötter klebte ein Mullverband. Im Gesicht des Originals war die Narbe gut zu erkennen.
    Und was haben wir so getrieben die liebe, lange Woche lang? forschte er weiter.
    Abschlage gemaschtsch und Bschriefe geschriebschen.
    Wie bitte? Dr. Viehkötter sprang auf. Frau Wachtel desgleichen.
    Abschlage gemaschtsch und Bschriefe geschriebschen.
    Was ist denn mit der los? wandte sich Dr. Viehkötter, alle höflichen Floskeln vergessend, an Frau Wachtel. So was von Sprachfehler. Das ist doch eine schwere Behinderung. Wie kommt so was hierher?
    Die Narbe auf Dr. Viehkötters Wange glühte. Frau Wachtel auch. Ich ebenfalls. >Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein, laden dich ein, glücklich zu sein.<
    Ich hatte keine Ahnung, stammelte Frau Wachtel. Ich meine, sie spricht sonst nicht so, ich meine, sie spricht überhaupt nicht viel.
    Itsch tschrage eine Tschkahnkschjammer, sagte ich und lächelte breit, Draht und Plastik auf meinem Gebiß bereitwillig entblößend, bei vollem Geständnis Strafmilderung.
    Na, Gott sei Dank. Die Farbe zog sich aus Dr. Viehkötters Narbe zurück. Wieso haben Sie das nicht gewußt, Frau Wachtel? Sie sind doch für Ihren Lehrling verantwortlich. Frau Wachtel tastete nach ihrem Taschentuch, fingerte am Stenoblock. Ich, ich... begann sie.
    Itsch kschann die Kschjammer herautschnehmen, sagte ich.
    So, und warum haben Sie das nicht getan, wenn Sie zu Ihrem Vorgesetzten gerufen werden? Die Farbe stieg in die Narbe zurück, wie Quecksilber im Thermometer.
    Vjergetschten, ich schaute schuldbewußt in den Schoß. Schvjor Aufschreschung!
    Das gefiel Dr. Viehkötter. Er steckte beide Daumen in die Armausschnitte seiner Weste und beglückwünschte mich zum Eintritt ins Leben. Im Einkauf arbeite ich, erklärte er. Ein Wir- Gefühl müsse ich entwickeln, sagte Dr. Viehkötter, sah mich an, sah Frau Wachtel an, die nickte, als wollte sie ihre Banane vom Kopf schleudern. Wir beide. Wir alle. Du und ich und er und sie. Wir alle. Miteinander, füreinander. Rädchen und

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