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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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später am Nachmittag einer nach dem anderen in der Zinkwanne gebadet hatten, wurde der Kittel mit der Unterwäsche gewechselt.
    Gern hätte ich, wie aus Versehen, ihre Hand gestreift. Ich traute mich nicht. Die kleinste, falsche Bewegung konnte das Gleichgewicht zerstören, die Kiste, das Rad und wer weiß, was sonst noch ins Rutschen bringen.
    Die Mutter ging gern auf den Friedhof. Es war für sie eine als Pflicht getarnte Gelegenheit, unter freiem Himmel zu sein und weg von zu Hause. Wenn die Mutter sich wohl fühlte, erzählte sie gern, was sie im Laufe der Woche Merkwürdiges erfahren hatte, und reihte dabei große und kleine Ereignisse unterschiedslos aneinander. Daß der Hund vom Bauer Karrenbroich beim Rückwärtsfahren aus dem Scheunentor unter den Traktor gekommen sei, die Mutter packte den Lenker fester, daß Fischers Minchen seit dem letzten Frühjahr noch mehr verspielt habe, wie man im Dorf das allmähliche Verkümmern eines Menschen nannte, nur noch Haut und Knochen war; Stribbes Katze hatte Junge gekriegt, zwei waren am Rücken zusammengewachsen, die habe der Stribbe nach Düsseldorf in die Klinische gebracht und noch Geld dafür gekriegt. Bei Mickels seien jetzt auch Flüchtlinge eingezogen, mit nix als einem Koffer seien die aus der Zone gekommen, rüberjemacht, betonte die Mutter, die Mutter der Frau vom Mickel sei selbst ja auch von drüben, und jetzt hätten sie die Verwandtschaft am Hals. Tausende, sagte die Mutter, ungläubig den Kopf schüttelnd, kämen ohne jeden Pfennig über die Grenze, nur mit dem, was sie am Leib hätten. Tausende. Täglich. Die >Tagesschau< zeige es jeden Abend. Junkers Heinzchen, das dritte Kind von Junkers Minchen, noch keine vier, sei mit dem Bein in die Speichen vom Fahrrad gekommen. Die Mutter blieb stehen. Durch den jähen Widerstand der Kinderwade in den Radspeichen sei der Vater gestrauchelt und gestürzt, das dreijährige Heinzchen koppheister und der Vater obendrauf auf das Kind und das in den Speichen verschlungene Beinchen. Zerquetscht.
    Nä, sagte ich, um Jotteswillen.
    Jo, Kenk, su kann et kumme.
    Peter und seine Mutter kauerten über einem Grab nahe der
    Leichenhalle. Wir taten, als sähen wir sie nicht. Schnitten die letzten Tulpen und verteilten sie in der Steckvase. Rund um die Stiefmütterchen setzten wir Begonien, die Mutter schaufelte Löcher, ich klopfte die Pflanzen aus den Töpfen, vorsichtig, jeder Topf zehn Pfennig Pfand. Wir arbeiteten zügig und schweigsam, die Mutter mochte dem Kinderbeinchen nachhängen. Was hätte der Großvater mit Frau Wachtel gemacht? Sie als Wutstein im Rhein versenkt, gewiß. Nach einem häßlichen Stein hatte ich am Morgen in den Kieseln gesucht; sie waren mir alle zu schön erschienen. Irgendeinen hatte ich am Ende wahllos herausgegriffen und so lange angestarrt, bis mich der böse Wachtelblick durch mein tränensalziges Blinzeln wie ein Stromstoß getroffen hatte. Allen Speichel hatte ich gesammelt, dem Stein mitten zwischen die Augen gespuckt und das Steingesicht von mir geschleudert. Das satte Klatschen hatte meinen Ohren wohlgetan. Noch jetzt schmerzte der Arm im Schultergelenk.
    Hilla, die Mutter ergriff meine Hand. Wat mäs de dann met de Bejonije? Die Mutter hielt meine Hand, die eine Begonienpflanze umkrallte. Ihr Saft lief zwischen den Fingern hinunter wie Vorjahren der des Alpenveilchens beim Bürgermeister.
    Die ärme Blöömsche. Loß doch los! Wo bes de dann met dinge Jedanke. Dann, sich vor die Stirn schlagend: Jo, jo, dat ärme Jön- gelsche. Dat Beensche muß woll affjenomme wäde.
    Ich ließ die Pflanze fallen. Sie war nicht mehr zu retten.
    Jitz bliev do en Loch, seufzte die Mutter.
    Für die Wachtel, dachte ich und verscharrte die Begonie in der Erde.
    Am Montag legte ich mir den >Panther< in den Schuh. Der Panther
    Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
    Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.
    Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.
    Frau Wachtel knallte die Briefe der letzten Woche auf den Tisch, Ablegen. Wieder machte ich mich an die Vergewaltigung des Alphabets, Ahrens zu A, Behrens zu B, Buchstaben, Gitterstäbe,

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