Das verborgene Wort
Buchstabengitter, Buchgitterstäbe, Buchgitter, Stabenstäbe, >ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt<. Das Blatt in die Stahlschiene schieben, den Hebel senken, den Hebel drücken, den Hebel lösen, das Blatt entfernen. Schieben, senken, drücken, lösen. Lösen, drücken, senken, schieben. >Ihm ist, als ob es keine Stäbe gäbe und hinter keinen Stäben seine Welt<. >Keine Stäbes >seine Welt In der zweiten Strophe erlöste ich das Tier aus seiner Betäubung, indem ich ebendiese durch >erwacht< ersetzte. >Erwacht<, nicht >betäubt<. Nun war der Panther schon ganz anders anzusehen. Ein geschmeidig schönes, kraftvolles Geschöpf, eben erwacht, willensstark. Schieben, senken, drücken, lösen, Huusarii auf Peenemäkki, Mayer auf Kanostipos.
Die dritte Strophe hatte es in sich. Wie kriegte ich den Panther aus dem Käfig heraus? >Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf.< Nur manchmal? Nein. >Auf einmah, mußte es heißen. Lösen, schieben, drücken, senken. Nicht nachlassen in Rascheln und Klicken, Rascheln und Klicken. >Auf einmal hebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf -. Dann gehtein Bild hinein.< Auf die beiden letzten Zeilen kam es an: >Geht durch der Glieder angespannte Stille - / und hört im Herzen auf zu sein.< Die Ablagemappe war leer. Ich hob das gesamte M aus dem Ordner heraus, mischte die Briefe neu und lochte alle noch einmal. >Fährt in das Tier<, fuhr es mir durch den Kopf. Das war gut! >Dann geht ein Bild hinein / fährt in das Tier<. Dann: >Wille< statt >Stille<. >Fährt in das Tier. Sein angespannter Wille.< Nun brauchte ich noch einen Reim auf >ein<. Ein Schwein beim Wein am Rhein allein. Ich kicherte. Frau Wachtel räusperte sich. Schieben, senken, drücken, lösen, Mauser, Maarparii, Mahner, Mertuurii, Meier, Meyer, Müller in Hülle und Fülle, die kreuz und die quer. Verstohlen kritzelte ich mir die von Verzagtheit befreite Strophe auf ein Blatt: >Auf einmal hebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, / fährt in das Tier. Sein angespannter Wille.. .<
Viertel vor eins. Das Klappern der Wachtelschen Maschine wurde brüchig. >Bricht aus dem Käfig in sein wahres Sein.< Zweimal >Sein<, mal groß, mal klein, war nicht sehr elegant. Was schwerer wog: genügte es, wenn nur der Wille aus dem Käfig brach? War das nicht Schiller und sein Mensch, frei und würd' er in Ketten geboren? War Willensfreiheit nur Gedankenfreiheit?
Mahlzeit, rief Frau Wachtel.
Ich tauchte unter den Schreibtisch und spuckte meine Zahnklammer in die Plastikdose.
An der Essensausgabe wurden heute die einzelnen Speisen portionsweise auf silbrige Schüsseln und Platten verteilt, mit Deckeln verschlossen und weggetragen. Für die Herren aus der Direktion, flüsterte mir die Frau hinterm Tresen zu. Immer wenn es eine Beschwerde gab, ließen sie sich ein Kantinenessen kommen, um die Klage zu prüfen, natürlich in der Villa und anständig serviert. Aber das Essen bleibe doch dasselbe, feixte sie.
Wirklich? grübelte ich, während ich meinen Teller, auf dem die Soße von Gulasch und Erbsen grünbraun verschwamm, hinter Frau Wachtels Rücken an unseren Tisch trug. Zwischen drei halbgepafften Zigaretten schlangen wir Suppe und Hauptgericht herunter. Von einem der Nebentische machte Mechthild mir Zeichen; ich schaute auf meinen Teller, wo der Panther mit geschmeidig starken Schritten seine Schlieren durch das Gulaschzog, sein starker Wille fährt ihm in die Glieder, die Gabel, ich spießte nach den Erbsen, daß es spritzte, quetschte die Kartoffeln in die Soße, >lever duut as Slav<.
Der Panther harrte meiner. Otto zu Niemeyer, Nöstel zu Pe- kooni, Peters zu Ottersberg: Ich verwüstete noch einen Aktenordner: >Auf einmal hebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein / fährt in das Tier. Sein angespannter Wille / bricht freie Bahn sich in die Welt hinein.< Das Essen hatte mir gutgetan. Zufrieden war ich nicht. Zweimal >hin- ein<. Aber der Panther war draußen. Immer noch drei Stunden bis fünf. Ich stellte die Ordner ins Regal zurück, exakt,
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