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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Schräubchen. Alle in einem Getriebe, in einer Familie, in einem Boot. Einmal hatte ich mit dem Cousin aus Rittersbusch, dem mit den teuflischen Haaren, am Rhein ein Boot losgeklinkt. Wir waren schon ein Stück hinausgerudert, als Wasser ins Boot drang. Wasser hat keine Balken, sagt die Oma, hatte ich geschluchzt, gebetet und mancherlei Gelübde getan, vor allem, dem Cousin nie wieder für fünfzig Pfennig in die Hosentasche zu greifen, wo immer das Futter kaputt war, und dort Nüsse zu suchen, die aber nie zu finden waren.
    Von heute an, schloß Dr. Viehkötter, gibt es neben Ihrem Interesse an den schönen Dingen des Lebens ein Interesse, das alles übergreift. Na, Fräulein Palm?
    Ich schrak zusammen. Hatte mich in die Füße des Redners vertieft, kleine Füße in eleganten Herrenschuhen, den elegantesten, die ich je gesehen hatte, braunes Krokodilleder, am liebsten hätte ich an seinen Schuhen gerochen, Wildnis und Luxus, hätte die Schuhe gestreichelt, mit und gegen den Strich.
    Verständnislos sah ich ihm ins Gesicht. Welches Interesse sollte größer sein als das an den schönen Dingen des Lebens?
    Bjschütscher, sagte ich.
    Wie meinen?
    Bücher, wiederholte Frau Wachtel eilfertig und hämisch. Ich hatte danebengeraten.
    Neiheihein, offenbarte Dr. Viehkötter mit herablassender Leutseligkeit eine weitere seiner Lachmöglichkeiten. Es ist das Betriebsinteresse. Das Betriebsinteresse ist unser Interesse. Unser größtes Interesse. Non scholae sed vitae discimus. Verstehen Sie? Vergeblich suchte Dr. Viehkötter sein einstmals kantiges Kinn aus dem Fett zu rücken.
    Der Spruch stand in einem meiner ersten Hefte für Schöne Sätze, aus der Zeit, als ich Latein noch für die Sprache des lieben Gottes gehalten hatte. Ich übersetzte ihn und fügte hinzu: Ksch- jarpsche dschiem. Nuschtsche schdschen Schdschag.
    So ist es recht, sagte Dr. Viehkötter. Nutze den Tag. Hier und jetzt. Er reichte mir ein daumendickes DIN-A4-Heft. Das ist Ihr persönliches Exemplar. Ihr Berichtsheft. Jeder Lehrling in diesem Betrieb führt ein solches Heft. Zum Eingewöhnen in die Betriebsfamilie. Sie schreiben jede Woche einen Wochenbericht, den Frau Wachtel unterschreibt und mir vorlegt. Carpe diem. Haha. Und damit wir uns besser kennenlernen, kommen Sie ab morgen jeden Tag in mein Zimmer, um das hier - er winkte mich zu sich und deutete auf eine koffergroße Vorrichtung nahe am Heizkörper - mit Wasser aufzufüllen. Ein Luftbefeuchter. Hier gießen Sie das Wasser ein, Dr. Viehkötters behaarte, gut gepolsterte Hand packte meine und drückte sie auf die Öffnung eines Rohrs, das wie ein Schnorchel aus dem Koffer stak. Und dann, er schleuderte meine und seine Hand in die Luft: Pfffhhh. Verstehen Sie?
    Ich nickte und wischte meine Hand verstohlen hinterm Rük- ken ab. Dr. Viehkötter tat desgleichen, unverhohlen, mit einem weißen Taschentuch, biesenverziert wie das Tüchlein, in dem ich meine Kommunionskerze getragen hatte.
    Nun aber, meine Damen, rief er. Der Sätze sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen, was Fräulein Palm?
    Worschtsche, sagte ich, Worschtsche, nischtsch Dschätschte. Goethsche. Fauscht. Dscher Tschragödschie erschtscher Tscheil.
    Das reicht, knurrte Dr. Viehkötter. Frau Wachtel, Fräulein Palm zum Diktat.
    Das Telefon klingelte, als hätte jemand die Notbremse gezogen.
    Keine Anrufe zwischen vier und fünf, wie oft soll ich Ihnen das noch sagen, Fräulein Schuster. Wie? Das Labor braucht die genauen Angaben zu den Holzqualitäten? Aber bitte nicht jetzt. Dr. Viehkötter ließ den Hörer auf die Gabel fallen, spreizte die Finger, als hätte er sich verbrannt, kramte in seiner Schreibtischschublade, zog eine Pfeife heraus, einen ledernen Tabakbeutel, einstmals beige, jetzt braunschwarz, und pfropfte etwas von seinem Inhalt in den Pfeifenkopf. Ich hatte oft gesehen, wie der Großvater seine Pfeife stopfte, drei Lagen, nach oben immer lockerer werdend, sorgfältig und umsichtig jede Schicht auf Dichte und Durchlässigkeit prüfend. Nie hatte er mehr als ein Streichholz verbraucht, auch nicht im windigsten Wetter, bevor der erste Zug seine Miene genüßlich verklärte. Dr. Viehkötters Bewegungen waren achtlos, fahrig, heftig. Als presse er Dreck in einem Müllsack zusammen, bohrte sich die Kuppe des Zeigefingers in den Kopf seiner eleganten Pfeife, die auf ihrem Stiel einen weißen Punkt trug. Er riß ein Streichholz an und noch eines, drei, der Tabak schwelte, der Qualm reizte ihm Augen und Nase,

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