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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Bildungsbekundung noch ein »Herr Dr. Wadepohl« anhängte, volltönig underbergwarm, reine Medizin.
    Ich durfte mich setzen. In mir rauschte der Geist von dreiundvierzig Kräutern, Sonnenlicht knallte durch die Fensterscheiben, der Himmel schwipsblau hinterm grünen Schwung der Birken, nur auf die Schlingpflanzen, die aus dem Teppichflor die Wände hochkletterten, auf diese Ungeheuer schauen durfte ich nicht. Vor meinen Augen wuchsen sie weiter, fuhren Stengel und Blätter aus wie Schnecken ihre Fühler, krochen über Wände und Decke.
    Nun, Fräulein Palm, Dr. Wadepohl rutschte von seinem Sessel herunter, ganz so, wie Kinder von den Stühlen Erwachsener herunterrutschen müssen, und fast hätte mein Ich wieder aus mir herausgelacht, doch ich schlug mir wie im Entzücken auf den Mund und deutete auf ein weiteres Bild, das ich kannte, wilde Sonnenblumen, die, ähnlich wie die Schlingpflanzen aus ihren Töpfen, aus der Vase, aus dem Bild herauszuwuchern schienen, ins Zimmer, über Tisch und Stühle, über Dr. Wadepohl und mich.
    Nun, Fräulein Palm, Dr. Wadepohl stand jetzt vor mir. Er war noch schmaler als in seinem Stuhl, der ihn umgeben hatte wie ein großartiger Rahmen. Er stemmte seine kurzen, dünnen Arme in die Hüften, lehnte sich an seinen Schreibtisch und schlug ein Bein lässig über das andere. Merkwürdigerweise waren die Hosen zu kurz. Ob er glaubte, seine Beine wirkten so länger?
    In der Kunst kennen Sie sich also aus. Aber das ist hier nicht gefragt. Dr. Wadepohl griff hinter sich, schwenkte den Brief. Das, was Sie nicht können, ist hier gefragt! Was das Benehmen angeht, das gibt sich von selbst. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber die Stenographie. Das Maschineschreiben. Das Können. Das Können an sich. Hehehe. Wieder sprangen die sieben Geißlein über Tisch und Bänke in meine Ohren, wieder brach ich in schallendes Gelächter aus. Dr. Wadepohl zuckte zusammen, ich zuckte zusammen und sah ihn ebenso verdutzt an wie er mich. Auf dem Tisch lag ein silbernes Etui, fein ziseliert: >Dr. Siegfried Wadepohl< eingraviert. Dr. Wadepohl entnahm ihm eine Zigarette und klopfte sie ab, als stauche er sie zusammen. Dabei leuchtete an seiner Hand ein blauer Stein, in dem ein S und ein W, kunstvoll verschränkt, eingeschnitten waren. Auch auf seinem Krawattenhalter konnte man sich der Anfangsbuchstaben seines Namens versichern.
    Also, das Stenographieren ... Dr. Wadepohl blickte versonnen auf seinen blauen gekerbten Stein, als wollte er sich, mich hypnotisieren, ... wollen wir probieren, platzte Ich aus mir heraus, platzte die Fühlst-dich-wohl-Arznei aus mir heraus. Ich zog den Kopf ein. Spürte eine hühnerknochendürre, kalte Hand unter meinem Kinn, aus den Manschetten stieg Zitronenduft.
    Dafür müssen Sie sich nicht schämen, Fräulein Palm. Es istschön, wenn in einem Menschen Talente schlummern, die den Alltagsgeschöpfen lachhaft scheinen. Aber Sie haben recht. Probieren wir es doch! Dr. Wadepohl blickte auf die Uhr und drückte einen Knopf. Fräulein Klemm erschien in der Tür. Stenoblock und Papier, bitte. Die Konferenz eine Stunde später.
    Als erstes diktierte mir Dr. Wadepohl einen Brief, den ich schon kannte. Den Brief an den Vater. Mein Ich führte mir die Hand, meine arzneientfesselte Ich-Hand wirbelte den Stift in Spiralen und Kaskaden über das Papier, ein Kinderspiel, nicht der Rede wert, der Rede aus dem Mund dieses schmächtigen, mächtigen Männchens. >Ich bin meine Freiheit«, tänzelte Ich über das Papier, >sehen wir uns gezwungen, das Lehrverhältnis aufzulösen«. Da konnte Ich nur lachen.
    Dr. Wadepohl diktierte noch zwei Briefe, die auf seinem Schreibtisch herumlagen, mein Ich-Stift spießte die Laute auf, stieß sie in Schnörkel und Schleifen, Spitzen und Kehren, ließ sie kreiseln und hüpfen. Nur mußte ich darauf achten, daß Ich nicht über die Stränge schlug, hier ein Spitzchen zuviel, dort einen Bogen zuwenig anlegte, Ich sich an die Spielregeln hielt.
    Fräulein Klemm überließ mir ihre Schreibmaschine, ein blitzendes Geschöpf, das mich mit gebleckten Zähnen anfletschte, Ich bleckte zurück. Spannte die schwarzen Rößlein, das weiße Blatt ein, jetzt würde ich es beflecken, entehren, verdrecken, mit Dreck bewerfen, Buchstabendreck aufs Blatt versenken wie Steine in den Rhein. Meine Ich-Finger schwirrten über die Tasten, drückten die Tasten wie Mücken tot, jagten die Buchstaben, brachten immer neue zur Strecke, die Strecke sauber gelegt aufs Papier. Halali.
    Den

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