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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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»Bruttoregister- tonne<, »Hochachtungsvoll«. Danach tippte ich in rasendem Tempo, als schriebe Ich, schriebe aus mir der Kräutergeist deneinen Satz, eine ganze Seite voll: >Ich bin meine Freiheit«, zerriß den Bogen in winzige Schnipsel, die ich aus dem Fenster rieseln ließ. Einer aus der Fegekolonne, der mit dem steifen Bein, drohte mir von weitem mit der Faust.
    Dr. Viehkötter war mit den Briefen zufrieden und schickte mich nach Hause. Eine Viertelstunde vor Schluß. Ich verließ Frau Wachtel grußlos. Stieg auf mein Fahrrad und kurvte durch das Werksgelände, kreuz und quer. Leer.
    Zu Hause erzählte ich nichts. Ging in den Holzstall und schlug ihn noch einmal auf, meinen Schiller, meinen Friedrich, kramte im Schuhkarton, in meinen Briefen an ihn, Schulmädchengeschwätz, starrte auf sein Reclamheftchenprofil, die blaue Kunstseide. Las seine >Nänie<, die bis zuletzt noch gelebt, mir den Trost ihrer Wortmusik gegeben hatte, ihrem traurigen Inhalt zum Trotz. Die Wörter lagen abgeholzt auf den Seiten, gefällte Stämme in den Zeilen, in den Bäumen auf den Lastwagen, bevor sie zu Papier zermahlen wurden, Ihre Bestellung vom fünfzehnten Juni, hochachtungsvoll. Ohne den Funken vom heiligen Feuer sterben die Wörter, tot bis in den Wurzelstock.
    Aus dem Kästchen mit den Scherben von der grünen Vase, meinem Schatzkästlein, in dem die kaputte Kommunionsuhr lag, das Armband vom Vater, das Wanderkäppchen mit den Anstecknadeln und ein bißchen Geld, das nicht auf der Sparkasse war - ich hatte ein Sparbuch, seit ich op dr Papp nach Golde drängte -, nahm ich drei Markstücke, noch zwei. Fuhr mit dem Rad nach Strauberg, wo mich niemand kannte, und verlangte am Büdchen bei der Straßenbahnhaltestelle eine Flasche Underberg. Bitte sehr, der Mann stellte ein daumenhohes Fläschchen auf die Theke. Empört schob ich das Kinkerlitzchen zurück: Eine große! Große gibt's nicht, knurrte der Mann, also, was soll's sein? Zehn, stotterte ich, zehn kleine, zählte das Geld auf die Gummiplatte und machte mich aus dem Staube. Fuhr aber noch einmal zurück und kaufte ein Päckchen Pfefferminz. Dr. Hillers extra stark.
    Der Platz bei der Großvaterweide war besetzt. An warmen Sommerabenden nutzten Pärchen die sandigen Mulden unter den Büschen, als mache die Umfriedung der graugrünen, schwingenden Höhlen sie unsichtbar. Zwei Paar nackte, ein wenigzapplige Beine sahen hervor, von der flimmernden Sonne gesprenkelt. Ich mußte an mich halten, um nicht mit beiden Händen Steine gegen die Eindringlinge zu schleudern.
    Ich floh. Floh in meinen Holzschuppen und verstaute acht Fläschchen hinter den Büchern, trank eines aus und warf es ins Plumpsklo. Setzte mich hinterm Hühnerstall in die Abendsonne, lehnte meinen Rücken an die sonnesatten Steine. Dahlien, Astern, Gladiolen drängten über den nachbarlichen Gartenzaun, in der Krone des Apfelbaumes färbten sich die ersten Klaräpfel. Ich wollte ein Fest feiern. Ein Fest für mich und das Alphabet. Auferstehung wollte ich feiern, Auferstehung jedes einzelnen Buchstabens. Der Kräutergeist sollte heilen, wieder zusammenfügen, zurückbringen, was krank, zerstückelt, verlorengegangen war, meine Wörter, meine Sätze, ihr Sinn. Aus dem Leben zurücktreten wollte ich, in die Bücher, die Dichtung. »Füllest wieder Busch und Tal still mit Nebelglanz<, begann ich mit halblauter Stimme. Ein paar Hühner gackerten, wurden still, als sie merkten, daß es kein Futter gab. »Lösest endlich auch einmal meine Seele ganz.< Ich trank das zweite Fläschchen. Das Wunder, das erhoffte, geschah. Die Kräuter heilten. Ihr Geist fuhr in den meinen, wie der Wind in das Laub hoher Bäume fährt, das aufbraust, erbebt, sich ergibt, willenlos zu sich kommt unter seiner herrischen Berührung, Inbesitznahme. Die Wörter lebten herrlicher als je zuvor. Ein Wort, ein Satz genügte, der Satz sank in mich, leuchtete mich aus, durchglühte mich. Wörter glitten in mich hinein, ich glitt in sie - wir hielten uns umfangen; ich tat Abbitte für jedes »Hochachtungsvoll«, jedes >Brutto< und >Netto<; ich hatte die Wörter geschändet und mich mit ihnen. Im Rausch der rauschenden Wörter, Rausch des Kräutergeistes ließ ich Mich über mich hinaustragen, weit über die züngelnden Gladiolen, die Feuerräder der Astern und Dahlien, hoch in den Himmel einer kreiselnden Buchstabensonne, Lichtspeichensonne, kreiste mit ihren Strahlen in rasender Fahrt um den Erdball, o Leben, o Schönheit, o Geist aus der Flasche,

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