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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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ersten Brief, den Brief an den Vater hatte ich fehlerlos, die anderen mit ein, zwei Fehlern getippt. Meine Hände, aus denen sich das kräutergeistige Ich allmählich zurückzog, zitterten.
    Dr. Wadepohl nickte anerkennend. Ich hielt den Kopf hoch. Nur nicht noch einmal eine Hand unters Kinn. Ich blickte zum Fenster. Die Schlingpflanzen wuchsen wieder im Maß ihrer Zeit. Unsichtbar. Dr. Wadepohl war noch ein wenig kleiner und dünner als unterm Underberg. Die Propeller eines Ventilators wirbelten ein wenig Luft in seine Haare, die wogten wie reifer Weizen.
    Fräulein Palm. Dr. Wadepohl rutschte vom Stuhl, blieb aber hinterm Schreibtisch, der ihm bis zur Taille reichte, stehen wie hinter einer Barrikade.
    Das hier, er hob den Brief an den Vater ins Licht des späten Vormittags. Das hier war wohl etwas voreilig. Ich finde keinen Grund zur Klage. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Teilen Sie das auch Ihren Eltern mit. Dr. Wadepohls blasse Finger ergriffen den Brief mit der Unterschrift des Vaters und zerrissen ihn, einmal, zweimal, mitten durch das sorgfältig gemalte Josef Palm. Warfen ihn mit den anderen Briefen in den Papierkorb.
    Und jetzt schicken Sie bitte Frau Wachtel zu mir, oder nein. Er drückte den Knopf, Fräulein Klemm, rufen Sie bitte Frau Wachtel an. Danke, Fräulein Palm. Und bitte, vergessen Sie nicht, Ihre Eltern zu beruhigen. Es ist alles in Ordnung.
    Frau Wachtel kam mir auf dem Flur entgegen, ihre Füße schlurften in zu weiten Sandalen. Als sie an mir vorüberging, stieß sie Luft aus der Nase wie ein aufgeschrecktes Pferd.
    Ich riß das Fenster auf, trug die vollen Aschenbecher hinter die Tür >Für Damen<, spülte sie sauber. Mechanisch griff ich den ersten Aktenordner heraus, Adler zu A, Ahrens hinter Adler, der achtundzwanzigste vor dem neunundzwanzigsten.
    Kurz vor dem Mittagessen kam Frau Wachtel zurück. Ihre hochtoupierte Krause neigte sich nach rechts, Hals und Gesicht rotgefleckt, das Kinn auf die Brust gepreßt, den Tränen nahe.
    Du Miststück, sagte sie, warf das Fenster zu und ließ das Feuerzeug klicken. Und, mit einem Blick auf die sauberen Aschenbecher, noch einmal: Du Miststück.
    Sie, sagte ich. Sie Miststück.
    Gegen drei klingelte das Telefon. Guten Tag, Herr Dr. Viehkötter, dienerte sie. Ja, sofort. - Aber ja. - Ach so. - Ja. Von Antwort zu Antwort wurde ihre Stimme flacher, bis zu einem letzten kleinmütig gehauchten: Ja.
    Zögernd, als schiebe sie etwas unwiderruflich beiseite, legte sie den Hörer auf.
    Man soll zum Diktat kommen, sagte sie.
    Ich nahm Block und Bleistift, wartete, daß sie desgleichen täte, sich den Lippenschnitt färbte, die Haare richtete. Frau Wachtel blieb sitzen. Griff nach einer Zigarette. Zwanzig gute Freunde, hatte sie mir einmal im vertraulichen Überschwang erklärt, zwanzig gute Freunde steckten in jeder Packung, Freunde, die einen nie im Stich ließen. Und die man herausholen und ausdrücken kann, wie es gerade paßt, hatte ich in Gedanken hinzugefügt.
    Ich stand auf. Bereit zum Gehen.
    Frau Wachtels Feuerzeug klickte. Einmal, zweimal. Rauch tief in die Lunge und fast spurlos aus Mund und Nase wieder hinaus.
    Man, sie stieß das Wort von sich wie einen giftigen Brocken. Man soll zum Diktat kommen. Nicht ich.
    Ich floh. Zuerst hinter die Tür >Für Damen    Nun, Fräulein Palm, schnarrte mir Dr. Viehkötter leutselig entgegen, da wollen wir doch einmal sehen, ob uns Dr. Wadepohl zuviel versprochen hat. Dumme Sache, das mit dem Brief. Schwamm drüber. Bitte das auch zu Hause auszurichten. Und von Kunst verstehen Sie auch noch etwas.
    Dr. Viehkötter drosselte sein Tempo, sprach, wie ich es aus der Berufsschule kannte, nur fielen seine Pausen nie mit der Bedeutung dessen, was er diktierte, zusammen. Mitten im Satz unterbrach er, um dann über Punkt und Komma hinweg bis zum nächsten Satzstück weiterzuhaspeln. Dr. Viehkötter diktierte drei Briefe.
    Man soll zu Dr. Viehkötter kommen, sagte ich zu Frau Wachtel und setzte mich an meine Schreibmaschine. Ich nicht.
    Frau Wachtel tat, als höre sie nicht. Nach ein paar Minuten schrillte das Telefon. Frau Wachtel nahm ab, nickte Ja, ja, ja, malte ihren Mundstrich und ging.
    Nichts war wie am Morgen. Es war kein Spiel. Kein Ich fuhr mir in die Fingerspitzen, kein Kräutergeist erhellte mein Gemüt, erquickte Geist und Sinn, nichts tat mir wohl.
    Aber ich brachte es zuwege, Wort für Wort, jeden Buchstaben einzeln verramschend an >Sehr geehrte Herren<,

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