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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Ich, ist das fünfte Element: Feuer, Wasser, Erde, Luft und Freiheit. Daß sie einem nicht in den Schoß fiele, schrieb ich, davon wußte ich ein Lied zu singen. Fühlend, wie mein hochgespanntes Ich, mein Ich gegen Tod und Teufel, langsam von mir wich, schloß ich mit der Weisheit von dreiundvierzig Kräutergeistern: >Wer die Freiheit gratis begehrt, verrät, daß er sie nicht verdiente Ein Satz für meine Sammlung.
    Mitte August, hatte Sigismund an den Rand gekritzelt, sei er wieder zurück.
    Bald kam ich nirgends mehr ohne einen der drei Geister, den hellen, den grünen, den braunen zurecht. Eine Zeitlang hatte ich am Berufsschultag auf seine Unterstützung verzichtet. Unter Zenders Augen fühlte ich mich sicher. Dies änderte sich, als der Lehrer nach ein paar Wochen sein Buch von mir zurückerbat und mich fragte, wie es mir gefallen habe. Ich hatte es nicht gelesen.
    Zender war enttäuscht. Er verlor sein Interesse an mir. Nachsichtig zog er die Augenbrauen hoch, wenn er sah, wie ich für Geld einen Aufsatz nach dem anderen zusammenstümperte. Daß sich meine Leistung in Steno und Schreibmaschine besserte, registrierte er beinah mißbilligend. Im kaufmännischen Rechnen blieb ich eine der letzten. Spottend gab er mir ein ums andere Mal die Klassenarbeiten zurück: Nun, es drängt Sie wohl doch nicht ganz so brennend >nach Goldes wie?
    Nur einmal stellte sich die Vertrautheit der ersten Begegnungen wieder her. Auch vor der Berufsschule hatte die >Flücht- lingswelle< nicht haltgemacht. Einen Aufsatz über die Freiheit schreiben sollten wir. Was wir darunter verstünden, was sie uns wert sei, wie wir handeln würden, eingeschlossen in einer Diktatur. Ich schrieb den Brief an Sigismund noch einmal, war im Handumdrehen fertig und konnte meine Gedanken noch ein paarmal für Geld variieren, ehe Zender die Blätter zusammenschob.
    Wütend gab er mir den Aufsatz zurück. Fräulein Palm, schnauzte er, Sie haben hier wirklich nichts verloren. Daß Sie hier herumsitzen ist Zeitverschwendung. Sie hier jedesmal zu sehen, macht mich krank.
    Die Klasse saß gespannt. So hatte Zender noch mit keinem geredet. Ich schaute auf meinen Matchbeutel. Da war der Geist, der alles richten würde.
    Nun schauen Sie nicht so verzweifelt, fuhr Zender milder fort: Eine glatte Eins. Eins und besser. Besser schreibt ein Erwachsener nicht.
    Kunststück, dachte ich, wer schreibt schon besser als Schiller. Immerhin blieb das Vertrauen meiner Abnehmer in meine Ware stabil, und das Silber glänzte mir weiter.
    Jeden Abend sah ich nun die >Tagesschau<. Selbst der Vater kam rechtzeitig nach Hause, und die Nachbarn drückten sich für die ersten Meldungen in die Küche. Eine seltsame Unruhe hatte sich der Menschen bemächtigt, alle führten das Wort >Freiheit< im Munde, alle sprachen es hochdeutsch und feierlich aus wie das Amen im Gebet. Wenn man auch nit vell an de Föß hatte, so hatte man doch seine Freiheit. Hi kann jeder hin, wohin he will,trumpfte die Großmutter auf, die noch nie über Kevelaer hinausgekommen war.
    Ich war froh, nicht allein zu sein, als wir an jenem Montagabend das Unfaßbare sahen: als wir sahen, wie mitten durch Berlin Stacheldraht ausgerollt und aufgetürmt wurde, Stacheldraht, wie ich ihn nur von der Weide kannte, wo Karrenbroich seine Bullen hielt; als wir Unter den Linden die Kradmelder hin- und herjagen sahen, immer mehr Soldaten, in fabrikneuen Jeeps und Mannschaftswagen; als wir die Posten sahen mit Schnellfeuerpistolen und im Kampfanzug; als wir zuerst das Geräusch vernahmen und der Vater Panzer sagte; als wir die dünne Stimme hörten, seltsam im Fernsehton verzerrt: Die Panzer kommen; als wir sie dann sahen, wie sie sich langsam und drohend näher schoben, zwischen den Tausenden Menschen, die mit versteinerten Gesichtern den Straßenrand säumten; als wir den ersten Pfiff hörten, aus der wehrlos entsetzten Menge, dem ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert folgte um die Ohren der Männer, die in ihren Tarnanzügen in den Panzertürmen hockten und vor sich hin starrten; als wir die Straßen sahen, aufgerissen wie für eine neue Kanalisation, aber mit Stacheldraht gefüllt; als wir die Frau aus dem dritten Stock eines Hauses in den Westen springen sahen - Feuerwehrmänner hielten ein Sprungtuch bereit; als wir das alles in unserem Fernseher Schauinsland mit der Telelupe sahen, da war ich froh, eine Flasche in Geschenkpapier zu haben. Wie im KZ, sagte die Großmutter und: Lommer bäde, wie sie es vor fünf Jahren gesagt

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