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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Möhnebusch, wie beim letzten Mal vor achtundachtzig Tagen. Daß er die Tage gezählt hatte, rührte mich. Mein Arger war größer. Mittwoch war Berufsschultag, das mußte er doch wissen. Was wußte Sigismund überhaupt noch von mir? Ich von ihm? Briefe hatten wir uns geschrieben, Briefe wie Klassenaufsätze über die Freiheit, die Treue, den Neid, sogar über den Fahneneid hatten wir zwischen Freudenstadt und Dondorf philosophiert, ganz zu schweigen von den Leidenschaften, die wir aufs Papier gössen, wenn wir uns in Beteuerungen kaum zu ertragender Sehnsucht ergingen. Auch meiner Gestalt hatte sich Sigismund immer unverblümter genähert, >Brüste< hatte er einmal wortwörtlich geschrieben und daß sie wie >Rehe unter der Bluse hüpften<, schiefes Bild hätte Fräulein Abendgold an den Rand geschrieben.
    Ein paarmal hatte ich ihn mit der Macht des Kräutergeistes, des grünen Geistes herbeizurufen versucht, mich in seine Briefe versenken wollen wie in ein Buch, ihn auferstehen lassen wie einen Tonio, Wronski, Botho, Heinrich, Hauke, Eduard. Es war mir nicht gelungen. Der Brief war ein Brief geblieben von einem Jungen aus Freudenstadt.
    Nun war er da, und-ich hatte Angst vor seiner Nähe. Meine Antwort ein Telegramm. Kann nicht kommen. Berufsschule. Erwarte Antwort. H.
    Wie immer wartete Trudi in der Mittagspause auf mich. Schon morgens im Bus war sie bekümmert erschienen; ich hatte sie nicht gefragt, zu versunken im eigenen Hader mit der Welt.
    Vor ein paar Wochen hatten Trudi und ich den Platz gewechselt. Unsere neue Bank stand bei einem Springbrunnen, ich wie immer versunken in sein Plätschern und Plaudern, Steigen und Fallen.
    Ein Rippenstoß Trudis ließ mich nach Luft schnappen. Ihre kurze, weiße Hand, nie ganz sauber, wedelte vor meinem Gesicht. Hilla, Hilla, hörte ich von weither ihre Stimme. Hilla, hörs de mir überhaupt zu. Hilla, isch krisch en Kind.
    Trudi! Ich trank in einem Zug meine Cola aus und faßte das Mädchen neben mir ins Auge. Hätte sie jemand meine Freundin
     

genannt, ich hätte protestiert und wäre mir dabei vorgekommen wie eine Verräterin.
    Trudi! sagte ich noch einmal. Ihr Gesicht war so blaß wie im Frühjahr. Blasser, flacher Teig, Rosinenaugen, Kohlenaugen, das spitze Näschen, der Tupfen Mund, Trudi der Schneemann, Trudi der Schneemann kriegte ein Kind.
    Jo, sagte Trudi. Esch ben em zwedde Monat.
    Ja, aber, sagte ich dümmlich, wie ist das denn passiert?
    Wie soll dat passiert sin, erwiderte Trudi hilflos grinsend. Esch wes et nit. Mer wore am Rhing. Esch hab och jet jedronke. Sujet Jrönes. Es ... Es ...
    Escorial, half ich. Escorial grün.
    Trudi riß ihre kleinen Augen auf. Jo! Reschtesch. Woher weeß du dat dann? Woher kennst du dann sujet?
    Ich zuckte die Achseln.
    Jo, esch han dat Düvelszeusch jedrunke. Ene un dann noch ene. Et wor jo och jemötlisch. Un dann sin mer no Rhingheem op de Kirmes jefahre un han Feschbrütscher jejesse. Un dann sin mer op de Raupe. Un weil et mer donoh schläät wor, sin mer noch ens dat jröne Zeusch drinke jejange. Reine Medizin, hät dä Kääl jesäät. Nix wie Kräuter. Et wor mer dann och widder besser, ävver wie mer dann russjekumme sin, o weia.
    Trudi machte eine Pause. Sie war noch bleicher geworden, die Linien ihres Gesichts verwischt, zerflossen bis in die dünn verklebten Haare. Eine Hand legte sie auf meinen Oberschenkel, mit der anderen hielt sie die zugeknöpfte Bluse krampfhaft über der Brust zusammen.
    Hilla, sagte sie, wat denks de jitz von mir? Esch schäm mesch su.
    Anders als beim Brustkrebs der Cousine, beim Betrug an Maria, bei Hannis Asthma wußte ich in diesem Fall, was zu tun war.
    Widerstrebend, als hätte sie die Grippe, legte ich den Arm um die dickliche Person, die sich dankbar an mich schmiegte: Da gibt es doch nur eines, Trudi. Er muß dich heiraten.
    Nä, schluchzte Trudi, esch kenn den doch ja nit. Esch wes jo ja nit, wie et passiert es.
    >Et<. Da war es wieder. >Et<. Et es en Sekond, hatte die Muttergesagt. Ob >et< zum Äußersten gekommen sei, hatte Cousine Hanni gefragt.
    Esch wees nit, wie >et< passiert is, wiederholte Trudi. Also, mer kumme us däm Weetshuus en Rhingheem, et war dä >Vater Rhein<, viellesch kenns de dat jo? Trudi sah mich an, als könnte meine Bekanntschaft mit der Wirtschaft auf wundersame Weise alles zum Guten wenden. Ich kannte ihn nicht, den >Vater Rhein<. Also, aus der Wirtschaft seien sie gekommen. Doch kaum an der frischen Luft, habe die Straße sich unter ihren Füßen

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