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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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auf den zweiten Escorial grün. Diesmal kostete Ich aus, was mir die Kehle hinunterfloß; es schmeckte brackig und süß.
    Vor dem zweiten Schluck stierte Ich eine Weile in die grüne Flüssigkeit, Peters Stimme, die von der praktischen Zusatzprüfung zum Friedhofsgärtner sprach, hob und senkte sich in meinen Ohren, Grabpflege brauste heran und verebbte in Stiefmütterchen, Erika, auf der Heide, da blüht ein Blümelein, Erika, auf der Omama, Sorge tragen, brauste heran, Beileid aussprechen, Gebinde zu Selbstkostenpreisen. Dieses letzte Wort, Wort aus der Wachtelwelt, fuhr wie ein Säbel, blankgezogen, durch mein grünes, berauschtes Gewebe. Wäre nicht mein Ich schon so stark gewesen, ich wäre womöglich wieder zu mir gekommen, ich hätte über Ich die Oberhand gewonnen. Das Ich parierte den Hieb des >Selbstkostenpreises< mit einem dritten Escorial.
    Der Charme des ersten Gläschens, des Gläschens in Ehren, war längst verflogen. Nach dem zweiten hatte ich mir noch nach Kräften den Anschein gegeben, als höre ich zu, Ah, Hm, Ach was eingestreut, wann immer es Ich in den Sinn kam. Ein Pärchen am Nachbartisch, einige Jahre älter als wir, war auf uns aufmerksam geworden. Lachend hatte der Mann, schlank und mit spanierschwarzen Haaren, dem Kellner gewinkt, auf mein Glas gezeigt, zwei bitte. Der Mann, je länger ich hinsah, von immer spanischerer, adligerer Abkunft, trank sein Glas in einem Zuge aus, schüttelte sich, nahm dem Mädchen das Getränk weg, hieltsein Feuerzeug darüber, knipste es grimassierend an; in fingerhohen, blaugoldenen Flammen lohte der grüne Geist auf und erlosch. Frech sah Ich Peter ins Gesicht und bestellte mit fester Stimme noch einen Escorial grün.
    Nach dem ersten Glas hatte mich kurz ein Verlangen überkommen, Peters braungebrannte Hand zu berühren, flüchtig, wie damals beim Betrachten der Pflanzen. Schon das zweite Glas machte diese Aufwallung zunichte. Meine Empfindungen zogen sich aus der Außenwelt zurück, schlossen sich um mein Ich, ihm zu Diensten, ihm zu Gefallen zu sein. Nach dem dritten Glas begann meine Umgebung sich wieder vorzudrängen, merkwürdig verändert, Peter zuerst. Zwischen zwei Lidschlägen nahm sein Gesicht eine grünliche Tönung an, die sich von Atemzug zu Atemzug vertiefte. Zunächst stimmte er ein, als ich zu lachen begann, herzhafte, grüne Gemütlichkeit, guter Witz, daß Boviste auch Leichenfinger heißen, grüne Leichenfinger, grüne Veilchenbringer. Dann kam der Schluckauf, und Ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen, wieherte, keuchte, prustete, randalierte vor Lachen, und dazwischen der Schluckauf, immer wieder der Schluckauf, trank Wasser auf meinen leeren, grünen Geistermagen, rebellierte mit noch mehr Schluckauf, Gelächter, das mich zerriß. Alle Augen waren auf uns gerichtet, auf mich gerichtet. Gerichtet.
    Herr Ober, zahlen, rief Peter. Wir jehen.
    Peter stand auf. Ein Kästchen fiel zu Boden, Ich, krumm vor Lachen, hob es auf. Ein Ring kullerte heraus. Goldener Reif mit grünem Stein und blauem Stein. Grün wie die Hoffnung, die Treue so blau.
    Wie schön, sagte ich zwischen zwei Schluckaufs.
    Jib her, sagte Peter und nahm mir den Ring aus der Hand.
    Er war rot geworden, das konnte ich sogar durch die grüne Farbe sehen.
    >Grün, grün, grün<, sang ich, >sind alle meine Kleider. Grün, grün, grün ist alles, was ich trag. Darum lieb ich alles, was so grün ist, weil mein Schatz ein Gärtnermeister ist.<
    Schwarz, sagte Peter und nahm mir das Kästchen weg. Deine Kleider sin schwarz. Un isch bin erst Jeselle. Komm jetzt.
    Er packte mich fest beim Ellenbogen und führte mich ab, aneinem Spalier apfelgrüner Köpfe vorbei, die in der Abenddämmerung giftig zu phosphoreszieren begannen. Unter meinen Füßen wand sich der Boden, als schritte ich auf einem Reptil. Ich klammerte mich an Peter. Er hielt mich auf Abstand. Da fing ich wieder zu singen an, gegen die Angst, wie Kinder im Keller, das Lied vom Tannenbaum und seinen grünen Blättern.
    Auf dem Weg zur Vespa begann es zu regnen. Das Reptil hatte sich in meinen Magen zurückgezogen und suchte mich von dort aus dem Gleichgewicht zu bringen. Gegen Peters Arm um meine Schultern hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Er dachte nicht daran. Hatte nur im Sinn, sich in Sicherheit zu bringen. Sich und sein Kästchen. Hoffnung und Treue.
    Es regnete in Strömen, als wir die Vespa erreichten. Es regnete auf der ganzen Heimfahrt, regnete mir das Grün aus dem Kopf und den Fahrtwind hinein. Ich hielt

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