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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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beschwingt tat ich die wenigen Schritte aus der Bank in den Beichtstuhl, ein paar Sonnenflecken zitterten durch das Körbchen der heiligen Elisabeth, die gerade Brot aus Rosen verteilte.
    >Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Gei- stes<, begann ich mit fester Stimme, >in Reue und Demut bekenne ich meine Sünden.<
    Leiser, mein Kind, zischte der Pfarrer. Ich wußte ohnehin nicht weiter. War es mit Hose überhaupt eine Sünde? Konnte >et< durch die Hose passieren?
    Nun, drängte der Pfarrer, was hast du mir zu sagen, meine Tochter?
    Aber ohne Reue gibt es keine Vergebung, und die Reue war weggespült vom grünen Geist, von Demut keine Spur. Ich wollte wissen, nicht bereuen und nicht büßen. Nur ob man durch die Hose hindurch Unkeuschheit treiben könnte, sollte der Pfarrer mir sagen. Seine Antwort bestand in einem nicht enden wollenden Räuspern, worauf sich eine dürre Hand durch den Vorhang schob, die dem Pfarrer ein Hustenbonbon zusteckte. Klappernd warf der Beichtvater das harte Stück zwischen den Zähnen herum. Ob es denn eingeführt worden sei, wollte er wissen. Was? flüsterte ich zurück. Das Glied, pisperte es an mein gespannt lauschendes Ohr. Wie denn? raunte ich. Der Pfarrer seufzte, schnaufte. Eine Wolke reinen Menthols senkte sich auf mich herab. >Ego te absolvo<, wisperte er und schlug das Kreuzzeichen. Fünf Vater unser< und fünf >Gegrüßet seist du, Maria<. Ich bekreuzigte mich. Ich war mit Unschamhaftigkeit billig davongekommen. Klüger als zuvor war ich nicht. An den Grauzonen zwischen Gut und Böse schien Gott kein rechtes Interesse zu haben.
    Kurz darauf versuchte ich ein letztes Mal, mir Klarheit zu verschaffen, in Großenfeld im Beichtstuhl des Dechanten, der höheren Instanz, nur auf ein winziges Schlückchen Spiritus verde ge-stützt. Ob man mit Wörtern Unkeuschheit treiben könne, wollte ich wissen, im Beichtspiegel habe ich nichts davon gelesen. Nach einigem Hin und Her bekam der Dechant den Sachverhalt aus mir heraus und versuchte mir klarzumachen, daß das, was ich da tat, der Frage: Allein? zuzurechnen sei. Ich protestierte. Ich tat es mit den Wörtern, nicht mit mir allein. Der Beichtstuhl ist kein Katheder, meine Tochter. Hier ist nicht der Platz für Spitzfindigkeiten. Du lebst in der Sünde. Schwächst deinen Körper, den du dir für deine zukünftigen ehelichen Pflichten reinhalten sollst. Denke daran. Dein Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes. Und nun gehe hin und sündige nicht mehr. Ego te absolvo. Diesmal bedurfte es eines ganzen schmerzhaften Rosenkranzes. Ich hatte Unkeuschheit getrieben, wenn auch, jedenfalls nach Maßgabe des Dechanten, nur allein und nicht mit anderen. Später bereute ich, ihm den Fall mit dem feuchten Fleck nicht vorgetragen zu haben. Sonst bereute ich nichts.
    Hätte die Mutter mich nicht gedrängt, ich wäre gewiß nicht hingefahren, hätte statt dessen, wie ich es mir zur Angewohnheit gemacht hatte, auch an diesem Abend mit dem Fahrrad das Dorf und die nähere Umgebung durchstreift, bis ich einen Zustand der Erschöpfung erreichte, der Gedanken und Gefühle in Müdigkeit ertränkte.
    Die Mutter hatte mich geradezu genötigt, an diesem regnerischen Herbstabend statt aufs Fahrrad in die Straßenbahn zu steigen, nach Großenfeld zu fahren ins Cafe Lappes, wo Schüler und Lehrer der diesjährigen Abgangsklasse zum ersten Wiedersehen zusammenkommen wollten. Ausgerüstet mit den Wohltaten meines Matchbeutels, traf ich als eine der letzten ein und wurde mit einer so herzlichen Freundlichkeit empfangen, daß ich argwöhnisch um mich schaute, ob noch jemand anderer mit mir das Cafe betreten habe.
    Fräulein Abendgold war nicht da, sie hatte zu ihrer kranken Mutter reisen müssen, und ich spürte ein Gefühl trotziger Erleichterung. Ich hatte ihr die Verweigerung des Steh auf! nicht verziehen.
    Fast alle waren gekommen, sprachen durcheinander, winkten mich hierhin und dorthin an ihre Tische. Rosenbaum stand auf. An seinem Tisch war noch ein Stuhl frei. Um wen ich denn Trauer trage, wollte er wissen.
    Um mich, murmelte ich, zuckte mit den Schultern und lächelte vage. Der Lehrer drang nicht weiter in mich und fragte nach meiner Arbeit. Ich antwortete wie vorher. Ob ich das Botanisieren noch betreibe, forschte er. Ich schüttelte den Kopf. Rosenbaum winkte der Kellnerin. Fräulein Feitzen hielt eine Ansprache. Wir klatschten. Ich ergriff den Matchbeutel, nahm hinter der Tür für >Damen< einen Schluck aus dem Geschenkpapier, wartete auf mein

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