Das verborgene Wort
bunten Aufklebern, für mich bis heute höchster Ausdruck vornehmer Lebensart, jetzt nur noch heruntergekommene Verwandte. Widerwillig mußte ich den Duft aus Haarturm und Seidenmantel bewundern, fühlte mich in seinem Bann aus Reichtum, Schönheit, Mühelosigkeit.
Sie saßen fast genau auf den Plätzen, wo wir im >Nathan< gesessen hatten. Von meinem Sitz im dritten Rang hatte ich einen guten Überblick. In der Pause verwickelte mich Lieschen gleich in ein Gespräch über die Aufführung und wußte es so einzurichten, daß ich den beiden den Rücken zukehrte. In meiner Handtasche hatte ich nur zwei Kräutergeister unterbringen können. Sie nahmen dem Schmerz die Spitze, wenigstens bis zum letzten Akt.
Auf der Rückfahrt setzte sich Lieschen Bormacher neben mich. Als der kunstvolle Haarturm sich endgültig zur Seite neigte und auf Sigismunds Schulter liegenblieb, griff die Hand des alten Fräuleins nach der meinen und drückte sie mit einer Kraft, die ich ihren vogelzarten Fingern nimmermehr zugetraut hätte, so lange und so fest zusammen, bis die Hand mehr schmerzte als mein Herz.
Warte, sagte Lieschen und kramte in ihrem über und über mit schwarzen und lila Pailletten bestickten Samtbeutel, schraubte ein flaches, silbernes Fläschchen auf und goß ein wenig von seinem Inhalt in den becherförmigen Verschluß. Ein herzhafter Geruch verbreitete sich, wie ich ihn von den Weinbrandkirschen kannte, die Weihnachten auf den Tellern lagen. Der Haarturm erhob sich, eine kurze, scharfgeschnittene Nase wandte sich uns zu, schnupperte, eine Zunge schnalzte, dann sank der Kopf wieder auf Sigismunds Schulter.
Cognac, sagte Lieschen. Den hab isch immer bei mir. Für alle Fälle. Reine Medizin. Aber besser.
Ich kippte den Becher in einem Zug, verzog keine Miene, Lieschen guckte verblüfft, hastig tat ich, als müßte ich husten.
>Mir schien, ein Esel hielt mein Herz jefangen<, sagte Lieschen.
>Wie ist dies zugegangens ergänzte ich und warf einen Blick auf die Schulter mit dem Haarturm. >Wie mir vor dieser Larve graut.<
Ja, sagte Lieschen, >wie leischt, dat man den Busch für einen Bären hält<. Aber lachen konnten wir beide nicht.
Im Bett lag ich in dieser Nacht unter meiner eigenen Last, hielt meinen Körper fest, daß er nicht versinken konnte in der Matratze, wie er es wollte. Ich schloß die Augen und atmete weiter.
Jetzt brauchte ich die Geister schon frühmorgens, bevor ich durchs Werkstor fuhr. Nahm einen ersten Zug, sobald ich die Chaussee erreicht hatte, machte halt am Kristoffer Kreuz, einen dritten, ehe ich das Wachtelzimmer betrat. Das Nötigste sprachen wir wieder miteinander. Die Arbeit ging recht und schlecht von der Hand. Aber ich gewöhnte mich nicht. Ich stumpfte nicht ab. Spiritus verde und Spiritus herbes nahmen dem Klicken des Feuerzeugs, dem Schrillen des Telefons, der Wachtelstimme die Wucht, bremsten den Schlag, fingen ihn ab, bevor er mit voller Kraft die Nervenbahnen erreichte. Meine Mundhöhle war gereizt, aufgerieben von immer schärferem Pfefferminz, das ich unablässig lutschte und kaute. Ich schmeckte nicht mehr, was ich aß; aß ohnehin nicht mehr viel, hatte kaum Appetit, vertrug nur noch leichte Speisen, am liebsten altbackene Brötchen und trocken Brot. Ich magerte ab. Stak in meinen verfärbten Trauerfähnchen, von allen schönen Wörtern, allen guten Geistern verlassen, nur die schmutzigen waren geblieben und mit ihnen Kräuter- und grüner Geist.
Einmal noch, nachdem der Fleck auf Sigismunds Hose erschienen war - >Et es en Sekond<, >Isch weeß nit, wie >et< passiert es< -, versuchte ich zu beichten, was ich seit der Firmung nicht mehr getan hatte. Ich fuhr dazu eigens nach Strauberg, vorbei an dem Kiosk, wo ich meinen ersten Underberg gekauft hatte. Die Kirche, ein unscheinbarer Backsteinbau, lag nahe am Rhein, der Kirchhof gleich daneben. Anders als in Dondorf gab es nur einen Beichtstuhl, genug für die Handvoll alter Frauen und Kinder, die sich in den Bänken verteilten. Dennoch mußte ich lange warten, bis das Lämpchen am Giebel des Holzhäuschens anging. Leises Gemurmel drang durch den dicken lila Samt, der das Fenster ver- hängte, die Stimme des Pfarrers, dann wieder lange Pausen, Geflüster. Mein Mut sank, je länger das Wispern sich hinzog, ich griff in den Matchbeutel, zog die Flasche heraus, nahm einen Schluck, der schmerzensreichen Jungfrau Maria, den toten Jesus im Schoß, gerade ins Gesicht. Das Licht am Beichtstuhl leuchtete auf. Fröhlich, ruhig, beinah
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