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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Suppe, heiße Suppe, kräftige Suppe, Fettaugen drauf, Markbällchen drin, Eierstich.
    Do häs de et! Do häs de et!
    Josäff! Die Mutter.
    Loß dat Kenk los! Die Großmutter.
    Ein Stuhl krachte zu Boden, eine Tür schlug zu. Ich war frei.
    Bloß kenne Dokter! Wat sulle mer däm saje, zeterte die Mutter. Wat sulle de Lück denke.
    Mein Gesicht wurde gewaschen, in kalte Tücher gepackt, mit Butter eingeschmiert, messerrückendick mit guter Butter.
    Brandblasen gab es nicht. Aber rote Flecken auf Wangen und Nase von erweiterten Gefäßen. Lebenslänglich.
    Am nächsten Abend ging der Vater nach der Arbeit nicht in den Garten des Prinzipals. Er kam schon um fünf nach Hause. Er fand mich hinterm Hühnerstall mit einem Buch der Sonne nachwandernd.
    Kumm, Heldejaad, sagte er. Ja, er nannte mich wirklich beim Namen. Mach dat Booch zo.
    Dann brachte er mir das Fahrradfahren bei.
    Heldejaad hatte der Vater gesagt. Heldejaad sagten die Mutter, die Großmutter, die Onkel und Tanten, die alten Freunde zu mir. Hildegard hatte Aniana gesagt, Hildegard sagte Fräulein Abendgold, sagten Doris und die neuen Freunde zu mir. Mit den einen sprach ich Kölsch, mit den anderen Hochdeutsch. Mit der Sprache wechselte ich auch Mimik und Gesten. Mein Verhältnis zur Welt. Wie anders klang das >Haal de Muul< der Mutter als das >Seid bitte ruhig< von Fräulein Abendgold. Wie anders: >Was fehlt dir, Hildegard?< als das mütterliche >Wat häs de?< Wie gern gehorchte ich, wenn man >bitte< sagte, wie belohnte mich ein >Dankeschön<, Wörter, die es zu Hause nicht gab.
    In diesem Jahr hatte ich durchgesetzt, einige Mädchen zum Namenstag einladen zu dürfen. Die Großmutter hatte einen Rosinenkuchen gebacken, die Mutter eine kalte Ente, ein Gebäck aus Schichten von Keksen und palmingehärteter Schokolade. Es sollte Würstchen geben und Kartoffelsalat, den die Mutter schon am Tag vorher zubereitet hatte, damit er durchziehen konnte. Ich hatte Tischkärtchen geschrieben und gemalt, so, wie ich es bei
    Doris gesehen hatte, die Mutter ihre Sammeltassen aus dem Glasschrank geholt. Wir waren beide aufgeregt. Zum ersten Mal kamen nicht nur Kinder aus der Nachbarschaft in unser Haus. Sogar eine Rolle richtiges Klopapier stellte die Mutter neben den Deckel vom Plumpsklo. Wenn nur keine mußte! Meine Aussprache hatte ich aus der Welt schaffen können, das Plumpsklo nicht.
    Häzlesche Jlöckwonsch zem Namensdaach, sagte Birgit, streckte ihr Bäuchlein vor und drückte mir verlegen ein Päckchen in die Hand. Herzlichen Glückwunsch zum Namenstag, liebe Hildegard, perlte es aus Doris' Mund, die außer einem kunstvoll mit Seidenschleifen verzierten Beutel einen Blumenstrauß überreichte, stark duftende, mir unbekannte Blüten, Fre- sien, sagte sie. Mareike, deren Vater Tierpräparator war, brachte ein in Zellophanpapier gehülltes ausgestopftes Eichhörnchen, dem ein Ohr fehlte. Alle wandten sich dem putzigen Ding zu, dessen braunschwarze Glasaugen einem in jede Richtung zu folgen schienen. Es lenkte die Mädchen von mir ab, und fürs erste mußte ich mich nicht entscheiden, ob ich mit Birgit Kölsch und mit Doris Hochdeutsch, mit beiden Kölsch oder mit beiden Hochdeutsch sprechen sollte. Freundliches Murmeln genügte. Bis wir am Tisch saßen. Sollte ich >Kuchen< anbieten oder >Kooche<, >Guten Appetieth< wünschen, wie in Doris' Familie, >Lodd et ösch schmecke< sagen oder sprachlos über die Platten herfallen. Sollten wir >Würstchen< essen oder >Wöösch<, >Maggi- brühe< trinken oder >Majjibröh    Ich rettete mich ins Geräusch. Täuschte einen gewaltigen Hustenanfall vor, steigerte mich in diese Krächz-, Keuch-, Kratz-, Krachlaute so sehr hinein, bis sie mich in einem Krampf übermannten. Alles Klopfen auf den Rücken, heißes Zuckerwasser in kleinen Schlucken getrunken, warmes Salzwasser auf einen Schluck, brachten keine Erleichterung, meine Panik jetzt echt, die Kinder wurden nach Hause geschickt und der Bruder zum Doktor. Als der kam, war es schon vorbei. Kaum hatten sich Doris, Mareike, die feine Mathilde auf den Weg zur Straßenbahn gemacht, ging mein Bellen in Keuchen, in Husten, in Hüsteln über. Treck dä Mantel widder us. Lommer jet esse. Un dann spille, sagte ich zu Birgit und Hannelore, zu Irene aus der Siedlung und Helmi vom Madepohl. Eine nach der anderen mußtemal. Sollten sie. Sie würden zu Hause erzählen, bei Palms gab es richtiges Klopapier von der Rolle, und dat Heldejaad hät dat Wööschje met Messer un Javvel jejesse.
    Heldejaad

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