Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Wanderlieder singen, >Wildgänse rauschen durch die Nachts >Grüß Gott, du schöner Maiens später auch >Im Wald und auf der Heide< oder >Bolle reiste jüngst zu Pfingstens<. Jetzt war es höchste Zeit, den Lauscherposten zu verlassen. Schon nahm die Stimme einen tieferen Klang an, glich nun einer Knabenstimme vor dem Stimmbruch, gleich würde sich die Stimme noch weiter verdunkeln, verschärfen und aus den vornehm geschwungenen Lippen im blassen Gesicht Walburgas ein quälender Bariton Lieder röhren, die selbst Trappmanns Heini, der zur See gefahren war und sich selbst als Freidenker bezeichnete, erschaudern und urteilen ließ, das gehe zu weit. Das ganze Dorf fragte sich, was in diese stille, schöne Frau gefahren war. Ihr Vater saß schon wieder in Düsseldorf in der Regierung. Von ihrer Mutter, einer Jüdin, hatte er sich scheiden lassen, noch bevor er eingezogen worden war. Walburga war in ein Internat gekommen. Die Mutter war tot, Ort und Datum ihres Todes unbekannt. Was da in immer kürzeren Abständen Walburgas Seele verwirrte, war wohl nichts anderes als der Teufel. Kurz nachdemich eingeschult worden war, hatte ich ihn zum ersten Mal gehört. Ich kramte gerade in meiner bunten Tüte herum, als die Großmutter zur Mutter sagte: Hür ens, et jeht widder los, jank met dä Kenger op dä Kerschhoff. Es war schon zu spät. Schon grölte es in die grelle Aprilsonne, die sich in unzähligen Regentropfen an den kahlen Zweigen und Weidenkätzchen brach. Eine schwarze Wolke schob sich vor die Sonne, Regen, so dicht und stürmisch, als wollte er die Stimme überwältigen, setzte ein. Ein Martinshorn kam näher. Die Stimme heulte auf, röhrte. Stille. Lommer för et bäde, sagte die Großmutter.
    Wir beteten immer öfter für Walburga. Dann blieb sie lange Zeit fort. Man hatte sie nach Herzogenberg gebracht. Dorthin kamen die mit den Nerven und Zuständen. War man durchgedreht oder verrückt, kam man nach Jeckes, nach Geckershausen. Ob man es mit den Nerven hatte oder bekloppt war, entschied das Portemonnaie.
    Nach ihrem letzten Aufenthalt in Herzogenberg hatte Walburga zugenommen. Nichts mehr erinnerte an die Dame, die trotz allem von den Frauen des Dorfes beneidet worden war, wenn sie mit ihren schwer und lässig ums Knie spielenden Rocksäumen auf hohen Absätzen - und das an gewöhnlichen Wochentagen - ihre prächtigen Dackel Gassi geführt hatte. Aufgedunsen, schwerfällig, dick, sah sie jetzt wie ihre eigene alte Tante aus und zog sich auch so an. Täglich, munkelte man, müsse Haase eine ganze Sahnetorte ins Haus des Bürgermeisters bringen. Sonst muß et wieder singe.
    Aber ihre Stimme, mit der sie mich nun näher, noch näher zu kommen bat, war silberhell und ohne Makel wie vormals beim schönsten Halleluja.
    Hinter dem Bürgermeisterpaar überzog ein Blumenfenster die gesamte Wand und tauchte den Raum in eine grüne Dämmerung. Riesige gezähnte und gezackte Blätter verschlangen einander in einem Wirrwarr ohne Anfang und Ende. Die Fäden ihrer Seele sind verwirrt.
    Vor dem Dickicht reichte eine Blautanne mit hellgelben Kerzen, Silberkugeln und Lametta bis an die Zimmerdecke.
    Nun komm schon Kind, was gibt es denn, mein Kind, hörte ich den Mann. Frohes Fest, wünschte ich ihm wie zuvor dem
    Küchenstuhl und sagte: Vielen Dank. Ich knickste tief und streckte das Alpenveilchen von mir, der Bürgermeister hielt ihm die Hand entgegen, und als er das Töpfchen fast greifen konnte, ließ ich es los. Es fiel auf seine spiegelnden schwarzen Schuhe, die, was ich sah, als ich mich bückte, geschwungene Bordüren mit gestanzten Löchern hatten. Ich ging in die Knie, viel tiefer als beim Knicks zuvor, meine Hände griffen in die Blüten und Blätter, drückten zu; die Pflanze knirschte und knackte, sie war am Morgen noch einmal gut getränkt worden, der Saft lief mir zwischen die Finger, ich trat nach dem Topf, der ganz geblieben war, jetzt mit einem dumpfen Krachen auseinandersprang und eine rötliche Schramme über Strumpf und Schuh zog.
    Ach, wie ungeschickt, so laß es doch liegen, Kind, ach, du armes Kind, so weine doch nicht, rief das silberhelle Stimmchen aus der dicken Frau im Sessel. Schade, sagte der Bürgermeister und zog mich am Nacken hoch. Du hättest es ohnehin wieder mit nach Hause nehmen können.
    Das Dienstmädchen kehrte Pflanzenreste, Tonscherben und Erde zusammen. Da trat ich noch einmal, und dieser Tritt hätte mich beinahe verraten. Ich traf aber nur die Schaufel, und das Mädchen legte mir für

Weitere Kostenlose Bücher