Das verborgene Wort
war ich für die einen, Hildegard für die anderen. Ich brauchte einen Namen für beide. Hilde? Vor mir klappte Stecknadelhilde ihre Nähmaschine auseinander. Im Englischunterricht hatten wir von einer Hilla Hillary gelesen. Hilla klang gut. Hilla, sagte ich, Hildegard; Hilla, schrieb ich, Hildegard. Hildegard gefiel mir besser. Im Mund und auf dem Papier. Aber nur dort waren die Buchstaben vor Entstellungen sicher. Bücher und Hefte beschriftete ich weiterhin mit dem zärtlichen Dreisilber. Im Alltag genügten zwei, das forsche Lallen, Hilla.
Ich stand schon in der Haustür, dünnes Licht von der einzigen Laterne in unserer Straße schnitt einen unsteten Kreis aus der Dunkelheit an diesem kalten Novembermorgen, als die Mutter mich noch einmal zurückhielt: Dä Heldejaad ding Bruut. Hilla, sagte ich, ich heiße Hilla, steckte das Brot in die Tasche und rannte vor ihrem Waat, bes dä Papp no Huus kütt davon.
So, sagte der Vater, als die Mutter ihn aus dem Schuppen ins Wohnzimmer rief. Seine Augen stachen rotgerändert aus dem grauen Gesicht. Er ging gebückt, fast wie der Großvater in seinen letzten Monaten. So, dinge Name es der jitz och nit mieh jut jenuch. Mach, wat de wells. Du blievs doch, wat de bes, dat Kenk vun nem Prolete.
Prolete, zischte die Großmutter, mer sin ken Prolete, mer sin kattolesch!
Haal de Schnüß! Waröm soll dat Kenk nit Hilla heeße, fauchte der Vater.
Dat Huus jehürt mir, sulang esch läv, giftete die Großmutter. Un dat jeht nit an ene Vatter met nem Hilla.
Ahl Ühl [40] , knurrte der Vater, met ihrem Hellijekrom, und verschwand im Schuppen.
Du verlierst dä janze Säje von der hellije Heldejaad, un met de Weisheit es et och am Äng [41] . En hellije Hilla jiddet nit. Dat esene Heidename. Doför küss de en de Höll, entsetzte sich die Großmutter.
Eine heilige Heldejaad gibt es auch nicht, Oma, sagte ich.
Die Großmutter beruhigte sich, als ich ihr meine Bücher und Hefte zeigte: die heilige Hildegard auf dem Papier.
Tage später überraschte ich die Mutter mit der Tante in der Küche. Dä schöne Name, Heldejaad, wat es dann do dran uszesätze, schluchzte sie.
Da kütt dovon, dat ehr dat Weet op de Scholl jescheck hat, stichelte die Tante. Do sätze se dänne doch nur Rosinge en der Kopp.
Die Mutter schwieg, trocknete sich die Augen.
Ich hustete.
Do es et jo, rief die Tante, wämmer vum Düvel kallt. ... Kumm, setz desch bei us, Heldejaad.
Du mußt nicht Hilla sagen, sagte ich zu der Mutter, nachdem die Tante gegangen war.
Die Mutter putzte sich die Nase und griff nach der Zange für die Ketten.
Es klingelte. Die Tante hatte den Schirm vergessen.
Holl dä Tante ens dä Scherm, Hilla, sagte die Mutter.
Maria, rief die Tante, esch ben sprachlos. Bes de jitz och ald övverjeschnapp? Nä, Heldejaad, du häs en Mamm!
Am nächsten Sonntag lag beim Mittagessen neben meiner Gabel ein Messer.
Kurz vor Weihnachten kam der Großmutter die Idee, ich solle mich beim Bürgermeister persönlich für mein Schulgeld bedanken. Mit einem Alpenveilchen.
Seit ich die Wohnungen von Doris' und Mareikes Eltern kannte, Wohnungen mit Wasserklosetts und Badewannen, gut geheizten Zimmern mit gestuften Bücherregalen, Salz- und Pfefferstreuer auf den Tischen, Servietten und Tassen mit Untertassen, hatten es mir Alpenveilchen angetan. Zwar gab es auch bei uns zu Hause Zimmerpflanzen, doch nur solche aus Ablegern. Vor allem ein Stengel Fleißiges Lieschen steckte immer im
Glas. Ableger konnte man hin- und hertauschen. Alpenveilchen mußte man kaufen. Ich war dabei, als Frau Bender aus den weißen, rosa und roten Blüten den Topf herausgriff, ein pralles Ziegelrot, strotzend vor Knospen. Doran hatt Ehr sescher Freud bes noh Ostern, sagte sie und nickte mir lächelnd zu. Peter, komm mal her, dat Heldejaad es he. Ich gefiel Peters Mutter. Meiner Mutter gefiel Peter. Beide Mütter waren sich einig: In wenigen Jahren wären wir ein schönes Paar. Durch meinen Besuch der Mittelschule sahen beide ihren Traum gefährdet, aber nicht verloren.
Nä, sagte die Mutter. Dä Pott bränk dat Kenk däm Börjermester.
Ach, su es dat, Frau Bender zögerte, wollte den Topf schon wieder wegstellen und einen schmächtigeren ergreifen, aber dann drückte sie mir die Blume in die Hand. En paar Daach häs de jo ding Freud dran. - Peter, rief sie noch einmal, et Heldejaad.
Ich war froh, daß er nicht kam. Wir ahnten die Pläne unserer Mütter.
Zu Hause wollte die Großmutter mit der Blume gleich in ihr
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