Das verbotene Eden 01 - David & Juna
Blick fiel auf die steinernen Figuren längst vergessener Heiliger, die von Efeu und Wein überrankt waren. Ob sie wohl vom Himmel aus beobachteten, was hier unten auf der Erde geschah? Oder hatten sie sich längst von den Menschen abgewandt und sie vergessen? Man hätte es ihnen nicht verübeln können. In den Augen des Schöpfers musste die Menschheit eine einzige große Enttäuschung sein. Was war geblieben vom früheren Glanz, von der Hoffnung auf ein irdisches Paradies? Feuer und Flamme, Trümmer und Trostlosigkeit. Und wer hatte das angerichtet? Natürlich die Frauen. Jene unreinen Wesen, die durch ihre bloße Existenz dem Antlitz des Herrn spotteten. Wie konnte ein Geschöpf, das sieben Tage im Monat mit blutigem Ausfluss beschmutzt war, jemals Gottes Gnade erlangen? Sie waren Verdammte, nicht würdig, die Bezeichnung
Mensch
zu tragen. Sie allein waren die Urheber allen Unglücks. Amons Blick verfinsterte sich. Sie hatten ihm alles genommen. Sein Auge, seinen Stolz und jetzt auch noch seinen Gefährten. Seine Wut und sein Hass bereiteten ihm schlaflose Nächte. Was hatten sie mit David gemacht? Weder gab es einen Gefangenenaustausch noch eine Lösegeldforderung, noch eine Rückgabe der Leiche, so wie es sonst üblich war. Bei seinen Nachforschungen war er überall auf Granit gestoßen. Man hatte die beiden Männer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Halle gelockt, sie überwältigt und fortgeschafft. Zu welchem Zweck, das blieb dunkel. Amon, der sich zum Zeitpunkt der Entführung auf dem Rückweg zum Inquisitor befunden hatte, war sofort umgekehrt und hatte mit den Nachforschungen begonnen. Die Hexen waren durch einen der alten Bewässerungskanäle bis zur Raffinerie vorgedrungen und hatten in einem Wald Position bezogen. Die Hufabdrücke waren überall zu sehen gewesen. Von einem Beobachtungsposten aus hatten sie sowohl den Haupteingang als auch die Halle ausgespäht und waren dann im Schutze der Nacht ans Werk gegangen. Amon hatte Reste von Schuhwerk und Blut gefunden. Das geknackte Schloss, die Fußabdrücke, die Schleifspuren – das alles sprach eine deutliche Sprache.
Warum hatte man sie entführt?
Amon war mitten in den Untersuchungen gewesen, als ihn der Ruf des Inquisitors erreichte. Der oberste Hirte hatte eine außerordentliche Sitzung einberufen, zu der auch Amon geladen war. Keine Ahnung, worum es gehen sollte, aber dass es wichtig war, daran bestand kein Zweifel. Punkt vierzehn Uhr sollte es losgehen.
Amon blickte auf die große Kirchturmuhr. Noch fünf Minuten.
Er strich sein Haar glatt, prüfte den Sitz seiner Kutte und betrat dann die Kathedrale.
Meister Sigmund, der Domschweizer, erwartete ihn bereits.
»Da seid Ihr ja endlich, Meister Amon. Ich dachte schon, Ihr würdet nicht mehr kommen. Beeilt Euch. Es sind schon alle versammelt, Ihr seid der Letzte.«
»Ich habe noch Zeit«, grummelte Amon. »Es gab wichtige Dinge, um die ich mich kümmern musste.«
»Ja, der Verlust Eures Freundes, ich hörte davon. So ein anständiger junger Mann. Eine Schande ist das.« Sigmund schüttelte betrübt den Kopf. »Wir werden ihn nie wiedersehen. Einmal in den Händen der Hexen, ist seine Seele auf immer verloren.«
Amon funkelte den Domschweizer wütend an. »Ihr solltet nicht so reden. Als Kind hat mir David einmal das Leben gerettet. Das ist etwas, was ich ihm nie vergessen werde. Wenn es eine Chance gibt, ihn lebend zu finden, so werde ich sie nutzen, das dürft Ihr mir glauben. Und jetzt entschuldigt mich.«
Er wandte sich ab und suchte seinen Platz. Ein Blick über die Anwesenden offenbarte, dass es tatsächlich ein Treffen auf höchster Ebene war. Alle Kirchenführer waren versammelt. Amon kannte nur die wenigsten beim Namen, aber es waren viele darunter, die er schon einmal gesehen hatte. Vorne sah er Abt Benedikt, den Prior des Klosters vom heiligen Bonifazius. Gramzerfurcht und alt sah er aus. Ein Relikt aus einer Zeit vor dem Zusammenbruch. Mürrisch blickte er hinüber zum Inquisitor, der in ebendiesem Moment die Stufen zur Kanzel erklomm. Amon beeilte sich, seinen Stuhl zu erreichen. In diesem Moment läuteten die Glocken. Die Gespräche erstarben, und die Männer senkten ihre Köpfe zum Gebet.
Mit dem letzten Glockenschlag erhob der Inquisitor seine Stimme. »Liebe Freunde, Männer Gottes! Ich habe euch einberufen, weil finstere Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen.« Seine Stimme hallte durch den Chor bis zum Querschiff. Die Weite und Höhe der Kathedrale verliehen seiner
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