Das verbotene Eden 01 - David & Juna
als Marcus Capistranus die Gefangene in unsere Stadt gebracht hatte. Es war ein unerhörter Tabubruch und entgegen aller Konventionen, doch Marcus unterstand dem damaligen Inquisitor Gabriel Varinius und war sein Lieblingsschüler. Er wollte ihn beeindrucken, also überreichte er ihm die Hohepriesterin Silvana persönlich und in Ketten als Geschenk. Der Inquisitor war sehr angetan und kam zu dem Schluss, dass es wohl das Gescheiteste wäre, die Frau als Geisel zu behalten. Wollten die Frauen ihre Priesterin jemals lebend wiedersehen, so mussten sie mehr als nur den üblichen Ertrag an die Männer abführen, so sein Plan. Doch er hatte nicht mit der Härte der Frauen gerechnet. Anstatt zu tun, was man von ihnen verlangte, wählten sie eine neue Hohepriesterin, eine Frau namens Arkana. Die Machtspielchen waren also gescheitert, und die Männer standen mit leeren Händen da. Da Inquisitor Gabriel Varinius mit der Gefangenen nichts zu tun haben wollte, übergab er sie der Obhut seines Nachfolgers. Er hätte sie besser gleich getötet. Marcus Capistranus ließ sie in die Krypta der schwarzen Kathedrale sperren und verging sich an ihr. Er ließ sie für das bezahlen, was die Frauen ihm – seiner Meinung nach – angetan hatten. Vom Scheitern seines Planes bis hin zur Entführung oder Tötung seines Freundes. Über ein Jahr brachte die Frau ein Kind zur Welt. Dich.«
An dieser Stelle musste David kurz unterbrechen. Die Informationen kamen so geballt, dass er kaum Zeit hatte, die Zusammenhänge richtig zu deuten. Dann war Silvana also seine Mutter? Und sein Vater? Doch nicht etwa …? Nein, das konnte nicht sein. Das
durfte
einfach nicht sein. Sein Verstand weigerte sich, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
»Deine Mutter wollte dich Jamie nennen, was im Keltischen so viel bedeutet wie ›der Umstürzler‹. Vermutlich hoffte sie, du würdest eines Tages von ihrem Schicksal erfahren und es zum Anlass nehmen, die Zukunft zu verändern. Natürlich erlaubte man nicht, dass ein Junge solch einen heidnischen Namen trug, und taufte dich stattdessen David. Marcus Capistranus hatte genug. Seine Pläne waren gescheitert. Weder hatte er seinen Freund zurückbekommen, noch waren die Frauen auf seine Forderung eingegangen. Der alte Inquisitor war sterbenskrank, und es war sein Wunsch, Marcus als seinen Nachfolger einzusetzen. Und jetzt gab es auch noch dieses Kind, um das er sich kümmern musste. Er beschloss, der Sache ein Ende zu bereiten, und ließ deine Mutter töten. Dich selbst wickelte er in das rote Stofftuch, das sie stets um die Schultern getragen hatte, und gab dich – ohne eine Nachricht zu hinterlassen – beim Kloster des heiligen Bonifazius ab. Damit, so hoffte er, wäre die Geschichte zu Ende und er hätte seine Schuldigkeit getan. Ich vermute, alles Weitere ist dir bekannt. Womit Marcus nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass du ihm nicht mehr aus dem Kopf gingst. Deine bloße Existenz war Grund genug, immer wieder das Kloster zu besuchen und nach dem Rechten zu sehen. Unter dem Vorwand, den Tribut einzutreiben, kam er alle drei Monate zu Besuch und schaute sich um. Natürlich hätte er diese Aufgabe auch von jemand anderem erledigen lassen können, doch in Wirklichkeit gab es für ihn nur einen einzigen Grund: Er wollte dich wiedersehen.«
An dieser Stelle wurde die Schrift unleserlich. Es sah aus, als hätte Stephan einen Schwächeanfall erlitten. David musste den Brief dicht an seine Augen halten, um die kleinen kritzeligen Worte zu entziffern.
»Auch wenn es dir schwerfällt, so musst du die Wahrheit doch akzeptieren«,
stand da zu lesen.
»Während ich dies schreibe, kommt es mir selbst so unwirklich vor, dass ich es kaum glauben kann. Es ist beinahe, als würde meine Hand sich weigern, die Tatsachen niederzuschreiben, doch es stimmt. Marcus Capistranus – der Inquisitor – ist dein Vater. So, nun ist es heraus. Meine Seele ist erleichtert. Falls wir uns nicht wiedersehen sollten – was Gott verhüten möge –, so kann ich dem Heiligen Vater mit reinem Gewissen gegenübertreten. Er wird erkennen, dass ich zeit meines Lebens versucht habe, dich zu fördern und zu schützen. Doch irgendwann ist im Leben jedes Menschen der Punkt erreicht, ab dem er loslassen muss und darauf vertrauen sollte, dass sich die Dinge so entwickeln, wie sie vorherbestimmt sind.
Während ich mit diesen Zeilen schließe, möchte ich dir sagen, dass du mir stets nur Freude bereitet hast. Es war ein Glück, dich bei mir
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