Das verbotene Eden 01 - David & Juna
Es schien, als wolle der Tag überhaupt kein Ende nehmen. David aß, schlief und unterhielt sich leise mit Sven. Sein Buch herauszuziehen wagte er nicht, aus Angst, man könne es ihm wegnehmen. Doch irgendwann begann die Sonne im Westen unterzugehen, und die wundersame Stadt Glânmor erstrahlte in goldenem Licht. Sie hatten an diesem Tag kaum etwas von den Bewohnerinnen gesehen oder gehört. Vereinzelt waren Frauen vorbeigekommen, hatten ihre Gesichter mit Stoff verhüllt und leise Verwünschungen gesprochen, doch es war zu keinerlei Ausschreitungen oder Übergriffen gekommen. Das Versprechen, das Juna Edana gegeben hatte, schien gefruchtet zu haben.
Irgendwann wurde das Abendessen gebracht, das sie hastig in sich hineinschaufelten. Es gab mit Butter angeröstetes und mit Milch aufgegossenes Getreide. Darüber lag eine dünne Schicht von Honig und Nüssen. David leckte seine Finger. Das war besser als alles, was sie im Kloster je bekommen hatten.
Als sie sich gewaschen und für die Nacht bereitgemacht hatten, wurden die Teller weggeräumt. Dann hieß es wieder warten.
Irgendwann verschwand die Sonne hinter den Hügeln. Blaue Schatten krochen aus den Winkeln der Häuser, und hinter den Fenstern wurden Lampen entzündet. Vom Tempel wehten geheimnisvolle Gesänge zu ihnen herüber. David dachte an die Bibliothek und daran, wie sehr er Meister Stephan vermisste. Er sehnte sich nach den Gebeten und der Arbeit im Skriptorium. Das Buch, an dem er gearbeitet hatte, lag sicher immer noch ungebunden auf seinem Arbeitstisch. Ob die Nachricht von seiner Entführung bereits bis zum Abt gedrungen war? Ob man nach ihm suchte und ihn vermisste? Er stellte sich vor, wie Gruppen von Mönchen die Wälder durchkämmten und unverrichteter Dinge wieder heimkehrten. Seit dem Vorfall mit dem Säugling schienen Jahre vergangen zu sein.
Unten bei den Wachen tat sich etwas. Der Posten, der den Tag über Dienst geschoben hatte, räumte seine Sachen zusammen und bereitete sich auf die Ablösung vor. David sah einen Neuankömmling den Hügel herabkommen. Die Frau war noch zu weit entfernt, als dass man Einzelheiten hätte erkennen können. Sie trug Rüstzeug, Waffen und einen breiten Schild. Als sie eintraf, sprachen die beiden Frauen miteinander, dann betrat die Fremde das Wachhaus. Sie breitete ihre Sachen aus, entzündete ein kleines Licht und fing an zu essen. David sah ihren Schatten über die Innenseite des Wachhäuschens huschen. Sie hatte ihre Armschienen abgelegt und zog nun den Umhang aus. Den Helm behielt sie auf.
David hätte zu gerne gesehen, ob Haarlänge und Farbe zu der Erscheinung der letzten Nacht passten, aber so konnte er nichts sagen.
»Und, ist sie es?«, flüsterte Sven.
»Keine Ahnung«, erwiderte David. »Ich kann nichts erkennen.«
»Abwarten. Sie ist jetzt mit essen fertig.«
Die Frau räumte die Sachen weg, stand auf und trat vor das Häuschen. Eine Weile sah sie sich um, dann kam sie gemächlichen Schrittes zu ihnen herüber. In ihrer Hand hielt sie eine Laterne, doch das Licht reichte nicht aus, um ihr Gesicht zu erkennen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Die ersten Sterne leuchteten bereits am Himmel, doch der Mond war noch hinter den Hügeln verborgen. Vielleicht noch eine halbe Stunde, bis er aufging.
Die Frau kam auf Davids Käfig zu, betrat die Leiter und setzte sich nur wenige Meter von ihm entfernt auf die Stufen. Dann nahm sie ihren Helm ab.
David hielt den Atem an.
29
J una fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. Die neugierigen Blicke des Mönchs amüsierten sie. Sie spürte förmlich, wie seine Augen jeden Quadratzentimeter ihres Körpers abtasteten. Sein Mienenspiel verriet Abscheu und Faszination zugleich.
Als er sprach, war seine Stimme leise und vorsichtig.
»Bist du Juna, die Kriegerin?«
»Glaubst du denn, dass ich es bin?«
»Ja, das tue ich. Auch wenn du anders aussiehst.«
Sie nickte. »Meine Bemalung trage ich nur außerhalb der Stadt.«
»Und gestern Nacht, die Frau in dem hellen Kleid, warst du das auch?«
»Schon möglich.« Sie lächelte. Es war faszinierend, wie sehr der Mönch darauf brannte, mehr über sie zu erfahren. »Warum fragst du?«
David wandte seinen Blick ab. »Ich war nur erschrocken. Ich hatte dich nicht bemerkt.« Zaghaft hob er den Kopf. »Was wolltest du denn?«
Juna zuckte die Schultern. »Ich konnte nicht schlafen. Der Mond schien so hell, und ich hatte zu viel gegessen. Es passiert mir öfters, dass ich mitten in der Nacht aufwache und mir ein paar
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