Das verbotene Glück der anderen
gehe am Fluss entlang, blicke umher, als würde ich nach einem zwölfjährigen Mädchen suchen, das in Gefahr ist. Ich sage jetzt, was meine Mutter immer zu sagen pflegte: «Philipose, Ihr seid davongekommen, Philipose.»
Ihr hattet ein Leben, das erfüllt war von Liebe, Kindern, Reichtum und Auszeichnungen. Und Ihr seid friedlich im Schlaf gestorben. Ich bin acht Monate zu spät gekommen, Philipose.
Als ich nach Hause komme, gibt mir meine Mutter eine schallende Ohrfeige. Sie hat einen kräftigen Arm, deshalb tut es weh. Dann umarmt sie mich fest. «Dieser Mann ist böse, Unni, sehr böse. Ich hatte solche Angst.» Dann setzen wir uns auf den Küchenboden, und ich erzähle ihr alles. Wir halten uns an der Hand und weinen zusammen.
«Aber zumindest ist er gestorben, Unni, also ist es in Ordnung, es ist vorbei», sagt sie.
Ich sage zu ihr: «Außerdem habe ich die Titten seiner Frau gedrückt.»
Und dann lachen wir wie verrückt, die Tränen laufen uns über die Wangen, und wir wissen nicht mehr, ob wir lachen oder weinen.
6
Die Leiche
Nichts im Leben strengt Thoma so sehr an, wie mit seiner Mutter zum Einkaufen in den Herz-Jesu-Familienladen zu gehen und dem riesigen Krämer zu begegnen, der mit nacktem Oberkörper auf einem Sack Reis sitzt und Jaggery-Zucker aus seinem eigenen Laden isst. Mariamma schuldet ihm über dreitausend Rupien, doch der Gemeindepfarrer hat mit ihm ausgehandelt, dass sie das Geld später zurückzahlen kann. Der Mann sieht ihr Gesicht nicht gerne und tut normalerweise so, als hätte er sie nicht gesehen. Sie wartet geduldig, bis er alle anderen bedient hat. Wenn alle fort sind und er nicht mehr weiß, wo er hinsehen soll, fragt er respektlos: «Was willst du?» Thoma möchte nicht, dass man so mit seiner Mutter spricht. Manchmal sagt der Mann: «Leute wie du essen eine Menge.» Mariamma deutet ruhig auf die Sachen, die sie haben will.
In der Nachmittagshitze gehen Thoma und seine Mutter schwitzend zurück nach Hause und sehen auf einmal Mythili Balasubramanium auf sich zu kommen. Wieder einmal vergisst Thoma, wie Laufen geht. Er trägt zwei Kilo Reis, und seine Mutter hält eine Kokosnuss in der Hand, als wolle sie damit kugelstoßen. Er wünscht, er wäre allein und trüge ein enges weißes Hemd und enge weiße Hosen und spitze weiße Schuhe und hätte seinen Walkman auf. Er hofft, dass Mythili sie nicht sieht, wasgar kein absonderlicher Wunsch ist, denn sie werden nie von irgendwem gesehen.
Mythili geht auf ihre übliche Art und blickt die meiste Zeit zu Boden. Noch hat sie die beiden nicht entdeckt. Er wirft seiner Mutter einen nervösen Blick zu. Wenn sie jetzt auf ihren Lippen kaut und mit dem Finger droht, wird er vor Scham auf der Stelle tot umfallen. Doch sie betrachtet nur Mythili und lächelt ihr liebevoll zu. «Bleib normal», flüstert er ihr zu. «Bleib ganz normal.»
Mythili sieht immer noch auf die Straße unter sich. Es ist erstaunlich, dass sie auf diese Weise überhaupt irgendwohin gelangt. Hinter Mythili bewegt sich plötzlich jemand und lenkt Thoma ab. Der Mann geht schnell und hat sie bald eingeholt. Er trägt ein braunes Hemd und eine Lungi. Als er an ihr vorbeigeht, schlägt er ihr auf den Po. Das reißt sie aus ihren Gedanken, und sie blickt auf. Sie starrt wütend auf den Mann, der jetzt vor ihr hergeht, als sei nichts gewesen. Dann geht auch Mythili weiter, als sei nichts gewesen. Doch Mariamma bleibt stehen. Sie sieht den Mann scharf an, der in schnellem Tempo auf sie zukommt. Er blickt Mariamma einen Moment lang nervös an und sieht dann weg. «Normal», flüstert Thoma seiner Mutter zu, doch sie hört ihm nicht zu. Sie sieht den Mann unverwandt an. Als er an ihnen vorbeiläuft, schleudert sie die Kokosnuss auf ihn. Sie trifft ihn am Kopf, fällt auf die Straße und kullert weg. Doch der Mann geht davon, als sei nichts gewesen. So, als würde er dauernd von Kokosnüssen am Kopf getroffen. Was ist das eigentlich für eine Welt?, fragt sich Thoma. Ein Mann schlägt einem Mädchen auf den Hintern, und das Mädchen geht weiter, als sei nichts gewesen. Dann trifft den Mann eine Kokosnuss, die eine seltsame Frau ihm an den Kopf wirft, und er geht weg, ohne sich auch nur umzudrehen.
Thoma sieht seine Mutter auf dem Gehsteig knien. Sie sagt:«Die Kokosnuss ist ins Gebüsch gerollt.» Thoma flüstert ihr zu: «Übertreib nicht. Steh schnell auf, sie kommt!»
«Die Kokosnuss, Thoma, die liegt jetzt im Gebüsch. Er gibt uns nicht noch eine, nicht mal, wenn Jesus
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