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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Christus ihn darum bittet.»
    «Steh auf», bettelt Thoma.
    Er beschließt, so zu tun, als hätte er Mythili nicht gesehen, und wenn er so tut, als sähe er jemanden nicht, gähnt er aus unerfindlichen Gründen immer. Doch Mythili geht nicht weg. Sie geht zu seiner Mutter und späht mit ihr unter die Büsche. «Ich seh sie», sagt sie. Sie greift ins Gebüsch und holt die Kokosnuss hervor. Sie sieht seiner Mutter in die Augen und lächelt sie an. Das ist schon eine ganze Weile nicht mehr vorgekommen. Als sie fortgeht, sieht er, dass sie weint.
    «Warum weint sie?», fragt Thoma.
    «Weil sie mich immer noch liebhat, Thoma.»
    «Und warum weint sie dann?»
    «So ist es eben.»
    Am Abend stehen Thoma und seine Mutter auf dem hinteren Balkon und sehen zu, wie die Witwe des Doktors unten die Rosen gießt. Alle Frauen in Wohnblock A beobachten diese Dame genau. Sie hat nämlich beschlossen, keinen weißen Sari zu tragen, wie es sich eigentlich für Witwen gehört, und sie hat auch keine Usha-Nähmaschine, auf der Witwen gewöhnlich mit traurigen Gesichtern nähen. Die Frau steht unter großem Druck, traurig zu wirken, und selbst wenn sie einer Alltagsarbeit wie Blumengießen nachgeht, murren die Frauen aus Wohnblock A über sie. Manche sagen: «Aber warum soll sie nicht glücklich sein?», was eigentlich wie ein Tadel klingt. Mythili erscheint mit einem weißen Handtuch um den Kopf auf ihrem Balkon. Thoma hat sie so noch nie gesehen. Sie sieht wie eine Frau aus. Sie lächelt seineMutter an, aber diesmal zaghaft, als sei sie jetzt wieder eine Fremde.
    «Ich gebe ihm Nachhilfe», sagt sie zu seiner Mutter, während sie den grünen Faltenrock ihrer Schuluniform zum Trocknen aufhängt. «Ich geb ihm dienstags, freitags und samstags Nachhilfe. Wir können diesen Samstag anfangen.» Ohne ihn nach seiner Meinung zu fragen, beschließen seine Mutter und Mythili, dass sie mit Mathe anfangen sollten, und dann besprechen sie, um wie viel Uhr er zu ihr kommen soll.
    Thoma wartet nervös auf den Samstag. Er wird bei Mythili sitzen, sie wird ihn ansehen, und er wird sie ansehen, und sie werden reden. Ohne jeden Zweifel wird sie wissen, dass er existiert. Allein der Gedanke macht ihm Angst. Er hofft, dass sie, wenn er zu ihr nach Hause kommt, sagt: «Thoma, lass mal sehen, was du alles weißt.»
    «Frag mich was, Mythili.»
    «Wofür steht KGB?»
    «Für Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti.»
    «Mein Gott, Thoma, ich wusste gar nicht, dass du so klug bist. Ich will dir noch eine Quizfrage stellen, die sehr schwierig ist: Wie lautet Pelés richtiger Name?»
    «Edson Arantes do Nascimento.»
    «Thoma, du bist sogar klüger als Unni.»
    Während er in den folgenden Tagen auf den Samstag wartet, bittet er seine Mutter, nicht zu laut zu sprechen, wenn sie mit den Wänden redet, und er betet, dass sein Vater, der, seitdem er aus dem Krankenhaus zurück ist, wieder zu trinken begonnen hat, einen weiteren leichten Herzinfarkt bekommt. Doch das Leben kennt keine Gnade, so viel weiß Thoma über das Leben. Die täglichen Erniedrigungen hören nicht auf. Als seine Mutter morgens Selbstgespräche führt, geht er ins Treppenhaus und überprüft,ob ihre Stimme bis zu Mythilis Wohnung dringt. Und wenn sein Vater nachts vor dem Tor krakeelt, hofft er, dass sie tief und fest schläft.
    Das Gute an der Schule ist, dass Mythili nie wissen wird, was ihm dort widerfährt. Immer wieder läuft er der Erniedrigung in die offenen Arme, ganz gleich, wie gut er sich schützt, ganz gleich, wie harmlos er sich verhält.
    Er geht von seinem Klassenzimmer über den Korridor zur Toilette. Vor ihm geht Miss Matilda, eine kleine, angespannte Frau, an der sich eigentlich nichts bewegt. Sie läuft schnell und hastig, was ungewöhnlich ist. Während er vorsichtig hinter ihr geht, macht er eine Entdeckung – sie hinterlässt eine Spur roter Tupfen auf dem Boden. Er bleibt stehen, sieht sich die Tupfen an und ist verblüfft. Es ist Blut. Er folgt ihr und der Spur. Sie eilt ins Lehrerzimmer, das voller Lehrer ist. Sie geht zur Damentoilette, und die Spur roter Tupfen folgt ihr unmittelbar. Bevor sie die Tür öffnen kann, beschließt er, «Miss» zu rufen. Es herrscht Schweigen. Alle im Lehrerzimmer, die meisten von ihnen Männer, blicken ihn an. Er ist sicher, dass er ihr mit seiner rechtzeitigen Warnung wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Er zeigt auf den Boden und sagt: «Sie hinterlassen eine Linie roter Tupfen, Miss.» Alle sehen auf den Boden und wenden sich aus

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