Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
enttäuschte. Sie wollten natürlich jede gruselige Einzelheit hören – wie der Drache gebrüllt hatte, als ihr Vater ihm den Kopf abgeschlagen hatte, und wie viel Blut geflossen war. Edward teilte ihnen freundlich mit, dass er nicht darüber sprechen wollte, und Ermintrude gebot ihnen in scharfem Ton, ihren Vater in Ruhe zu lassen.
Das taten die Jungen dann auch, allerdings in erster Linie, weil ihr Vater die beunruhigende Angewohnheit mitgebracht hatte, sie fest in die Arme zu schließen, sobald er sie sah. Sie ertrugen diese neue Eigenart so geduldig wie möglich, bis Wilhelm den König eines Tages beiseite nahm und ihm erklärte, dass die Stallburschen ihn schon als Weichling verspotteten. Sein Vater solle mit seiner Zuneigung in der Öffentlichkeit doch bitte sparsamer umgehen.
Edward versprach mit liebevollem Lächeln, sich daran zu halten, und er hielt Wort. Nach dieser Unterhaltung begnügte er sich mit einem männlichen Schulterklopfen.
Was tatsächlich geschehen war, erzählte Edward nur Gunderson, der ihm staunend zuhörte. Gunderson erfuhr die ganze Wahrheit, doch er sagte wenig dazu. Er drückte seinem König nur tief bewegt die Hand und bedauerte ihn von ganzem Herzen. Auch er fand, dass der König recht gehandelt hatte, als er Drakonas bat, die Frau zu finden.
Ermintrude hingegen sagte Edward nicht die Wahrheit. Eigentlich hatte er das vorgehabt, um seine Last zu erleichtern, aber Gunderson riet ihm dringend davon ab. War es gerecht, seiner Frau Schmerz zuzufügen, nur um seine eigenen Schuldgefühle zu lindern? Lieber sollte er seine Schuld allein tragen, als sie damit zu belasten. Das kam auch Edward weise vor, obwohl sein Schweigen die Last vergrößerte. Immerhin waren er und Ermintrude immer der Ansicht gewesen, dass es keine Geheimnisse zwischen ihnen geben sollte.
Die Königin wusste, dass etwas geschehen war, das ihren Mann verändert hatte. Ihr Frauenherz ahnte die Wahrheit. Früher war er mitunter barsch mit Leuten umgesprungen, besonders mit Bittstellern. Jetzt war er freundlicher und lauschte ihren Anliegen mit beispielhafter, verständnisvoller Geduld. Er gab seine wissenschaftlichen Versuche auf, verschenkte das Astrolab, die Bücher und die Sternkarten und stellte stattdessen Texte über das Recht, die Staatskunde und die Kunst des Regierens in sein Arbeitszimmer. Aber er lachte seltener, und häufig sah sie ihn am Fenster stehen, wo er mit einem sehnsüchtig traurigen Blick auf den Fluss hinausstarrte.
Zu ihr war er viel liebevoller und sanfter als früher. Auch wenn er ihr Bett mied, zog er sie häufig an sich, weil er ihre Umarmung zu suchen schien. In diesen Augenblicken hatte sie stets das Gefühl, dass er ihr erzählen wollte, was einen solchen Schatten über sein Leben geworfen hatte. Doch er brachte es nicht fertig, weil er sie nicht verletzen wollte.
Dann hätte sie ihm gern versichert, dass sie schließlich seine Frau sei. Was er auch getan hatte – sie liebte ihn und würde ihm verzeihen. Nur ihr Instinkt – derselbe Instinkt, der sie nachts weckte und an das Bett eines kranken Kindes führte – hielt sie zurück. Er würde es ihr schon auf seine Weise sagen, wenn die Zeit reif war. Bis dahin musste sie sich in Geduld üben, ihn weiterhin lieben und es ihm zeigen.
So verstrichen die Monate.
Der Fluss strömte durch den Sommer, trug die Herbstblätter mit sich fort und malte ein dunkles Band durch den Schnee des Winters. Als das Schmelzwasser ihn im Frühling anschwellen ließ, als Krokusse und Blausterne blühten, wurde Edward immer unleidlicher. Er schien auf jemanden oder etwas zu warten, denn jedes Mal, wenn er im Hof Hufgeklapper hörte, eilte er erwartungsvoll ans Fenster.
Gunderson wusste, dass Edward auf Drakonas wartete. Ermintrude ahnte es.
Dem alten Mann hatte nicht gefallen, was der König ihm in seiner abenteuerlichen Geschichte über Drakonas berichtet hatte. Viele Handlungen von Drakonas erschienen ihm höchst verdächtig, was er seinem König auch unverblümt mitteilte. Edward räumte ein, dass auch er an Drakonas gezweifelt hatte, aber er hatte keinen anderen, auf den er sich verlassen konnte. Am liebsten hätte Gunderson seinen Herrscher aufgefordert, diese Frau, die kurze Leidenschaft und das mögliche Ergebnis davon zu vergessen. Uneheliche Kinder wurden jeden Tag gezeugt, und die meisten Väter scherten sich nicht im Geringsten darum. Aber da musste Gunderson sich selber rügen. Schließlich hatte er Edward anders erzogen und war stolz
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