Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
hinein und glitt unter der Führung des Mondlichts auf die silbrigen Wellen des Flusses hinaus.
Drakonas hätte sie aufhalten sollen. Er hätte herunterstoßen müssen, die Kriegerin zu Tode erschrecken, Melisande ergreifen und zu Anora tragen müssen. Das war schließlich sein Auftrag.
Aber er gehorchte nicht, sondern ließ das Boot davonfahren. Weder folgte er ihm, noch beobachtete er, wohin es trieb. Es glitt einfach in die Nacht hinaus und verschwand.
Das würde natürlich Ärger geben. Er hatte die Sache vermurkst, das musste er sich eingestehen. Aber Anora und Bran hatten durchaus ihren Anteil an dem Debakel, und das würde er ihnen auch unter die Nase reiben, wenn sie ihn vorluden. Was konnte Anora ohnehin gegen ihn tun? Ihm seine »Menschlichkeit« nehmen? Ein Grollen stieg in Drakonas auf. Die konnte sie haben.
Er suchte nach einem Hinweis, dass Grald noch irgendwo lauerte, konnte jedoch nichts entdecken. Zwar war der Mann nicht mit seiner Beute verschwunden, doch er hatte sein Ziel erreicht. Da war sich Drakonas ganz sicher. Er fragte sich, was die beiden nun unternehmen würden. Sie konnten die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen.
Womit nur noch Edward übrig war. Drakonas sank ins Dunkel herab. Er zweifelte nicht an Edwards Tod, aber er wollte den Leichnam zu Ermintrude bringen. Zwar musste er dazu eine Geschichte ersinnen, doch das war sehr einfach. Er würde berichten, wie heldenhaft Edward gegen den Drachen gekämpft hatte, der das Königreich bedrohte, und wie er ihn trotz seiner tödlichen Verwundung noch erschlagen hatte.
Ermintrude würde trauern, aber sie würde stolz auf ihn sein. Ihre Söhne würden den Vater stets verehren. Wahrscheinlich würde man Edward zum Heiligen erklären wie jenen anderen, angeblichen Drachentöter. Das war nicht das optimale Ergebnis, aber auch nicht das schlimmste.
Drakonas landete am Strand. Mit einem Seufzer löste er sich von seiner Drachengestalt. Als sie ihn verließ, kam es ihm vor, als würde seine Seele im Tod den Körper verlassen, als würde nur schweres, lebloses Fleisch zurückbleiben. Er brauchte etwas Zeit, um sich wieder an seinen Menschenleib anzupassen, in dem er sich eingezwängt und begrenzt fühlte. Nach ein paar wackligen Schritten wäre er beinahe über Edward gestolpert.
Der König lag mit dem Gesicht zum Boden auf dem Strand. Eine Hand war um sein Schwert gekrallt, als hätte er sich noch einmal bemüht, es zu packen. Drakonas begriff nicht, wie er ihn hatte übersehen können, doch er war ganz damit beschäftigt gewesen, Bellona und Melisande zu beobachten.
»Das zeigt nur wieder, was daraus wird, wenn man sich zu sehr hineinziehen lässt«, knurrte er.
Er rollte den König auf den Rücken, um sich zu vergewissern, dass dieser tot war.
Edward schlug stöhnend ein Auge auf. Das andere war zu stark zugeschwollen. Sein Gesicht war blutig und entstellt.
»Melisande?«, flüsterte er.
Drakonas schüttelte nur den Kopf.
Stöhnend schloss Edward die Augen und verlor wieder das Bewusstsein.
Drakonas lächelte. Es erleichterte ihn, dass der König noch am Leben war, obwohl es eigentlich anders besser gewesen wäre. Ein toter Edward war ein Heiliger. Ein lebender Edward machte die ganze Geschichte ausgesprochen kompliziert. Zum Teufel damit! Gemeinsam würden sie eine Lösung finden.
Drakonas riss sich zusammen, überlegte, welche Geschichte er selbst erzählen wollte, und widmete sich dann dem verletzten König.
Trotz Drakonas' Heilkünsten verbrachte Edward eine unruhige Nacht. Er wand sich im Schlaf, murmelte vor sich hin und erwachte einmal mit einem gellenden Schrei. Voll Entsetzen starrte er Drakonas an, der ihn jedoch beruhigen konnte. Dann blickte sich Edward schlaftrunken um, ehe er in seinen gepeinigten Schlaf zurücksank.
Drakonas schürte kräftig das Feuer, um ihn zu wärmen. Das war zwar riskant, weil immerhin die Möglichkeit bestand, dass Grald noch in der Gegend war, doch eigentlich rechnete Drakonas nicht mehr mit ihm. Grald würde keinen zweiten Zusammenstoß riskieren. In den frühen Morgenstunden stellte Drakonas dankbar fest, dass Edward sich entspannte und in einen tiefen, erholsamen Schlaf fiel.
Erst gegen Mittag erwachte der König. Verschlafen sah er sich um, bis die Erinnerung wiederkehrte. Er schüttelte Drakonas' Hand ab, die ihn zurückhalten wollte, und kam mühsam auf die Beine. »Melisande! Wo ist sie? Ich muss sie suchen.«
»Ihr seid nicht in der Verfassung, jemanden zu suchen«, mahnte
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