Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Prinz war sichtlich stolz darauf, dass er seinem Vater das Leben gerettet hatte.
Unterdessen kamen und gingen draußen andere Leute, die ebenfalls im Schloss wohnten und bei König und Königin zu Gast waren. Es wimmelte von Rittern und Edelfräulein, anderen Adligen, Spielleuten, Dienstboten und Müßiggängern, die sonst nichts zu tun hatten.
Die Ritter prahlten lauthals herum. Zur Entschädigung für ihre enttäuschende Drachenjagd wollten sie nun anderntags Wildschweine hetzen und bereiteten sich auf dieses aufregende Ereignis vor. Die Hunde trotteten hinter ihnen her. Wenn sie gelegentlich bellten und nacheinander schnappten, trug dies nur noch mehr zu dem Trubel auf den Gängen bei. Wilhelm wollte Drakonas in den Stall führen, um mit seinem eigenen Pferd anzugeben, aber Gunderson fing die beiden ab.
»Meister Drakonas«, sagte der alte Soldat, »Seine Majestät kann Euch nun empfangen.«
»Dann sehe ich mir dieses bemerkenswerte Pferd zu einem späteren Zeitpunkt an«, versprach Drakonas.
Der Prinz reagierte zunächst enttäuscht. Dann aber überlegte er, wie er sich vor seinen jüngeren Geschwistern nun brüsten konnte, weil er den Nachmittag mit einem echten Drachenjäger verbracht hatte, und rannte davon, um sie zu suchen.
Gunderson führte Drakonas in die Gemächer der königlichen Familie. Sie passierten den großen Saal, wo sich inzwischen die jungen Ritter mit ihren Hunden und ihrem Gefolge auf die bevorstehende Jagd einstimmten. Als die beiden eintraten, wurde es still. Inzwischen wusste jeder im Schloss von dem Drachenjäger, und man starrte ihn unverhohlen an. Manche Blicke waren einfach neugierig, manche wie gebannt, manche zeugten von offener Feindseligkeit. Drakonas achtete nicht darauf.
Gunderson leitete ihn eine in den Stein gehauene Wendeltreppe im Westturm hinauf. Die Treppe endete in einem einladenden, kleinen Raum mit freundlicher Atmosphäre. Der Boden war mit sorgfältig verarbeiteten Teppichen belegt. Auf der einen Seite sah man einen großen Kamin, in dem an diesem schönen Sommertag allerdings kein Feuer brannte. Der Raum war von Öllampen erhellt, die zugleich einen angenehmen Duft verbreiteten. Der König saß an einem Tisch voller Papiere und diktierte einem Mann in der schlichten Kleidung eines Schreibers ein Schriftstück.
Drakonas sah sich um. Das war das Privatzimmer des Königs, sein persönlicher Raum, in dem er seine Geschäfte erledigte und wohin er sich zum Nachdenken zurückzog. Nach all den Jahren war Drakonas zu der Überzeugung gelangt, dass der Besitz eines Menschen viel über ihn aussagt. Dass der König sein Arbeitszimmer mit wissenschaftlichen Instrumenten voll gestellt hatte, faszinierte ihn. Auf einem Tisch stand ein sehr schönes Astrolabium, daneben lag ein Sextant. Auf dem Balkon war ein Teleskop zu sehen. Drakonas fragte sich unwillkürlich und leicht belustigt, ob der König damit wohl in letzter Zeit weniger die Sterne erforschte, als vielmehr nach dem Drachen Ausschau hielt.
Edward blickte kurz auf, als sie eintraten, und nahm ihre Gegenwart durch ein kurzes Nicken zur Kenntnis. Dann setzte er sein Diktat fort. Gunderson brachte Drakonas zu einem Fenster, wo sie außer Hörweite waren. Jetzt verstand Drakonas, weshalb der König genau dieses Zimmer für sich gewählt hatte. Türen mit Glaseinsätzen führten auf einen Balkon. Darunter lag der Schlosshof, dahinter die Schlossmauer. Jenseits der Mauer pulsierte die Stadt Ramsgate-upon-the-Aston, und dahinter begann die Welt. Grüne Felder gingen in das dunklere, fleckige Grün der Wälder über, die wiederum schließlich dem nebligen Blaulila der fernen Berge wichen. Drakonas schaute zu diesen Bergen mit ihren weiß verschneiten Gipfeln, und sein Puls schlug schneller. Einen besseren Ort für seinen Plan hätte er niemals finden können.
Endlich zog sich der Sekretär mit dem Stapel Papiere zurück. Edward stand auf und streckte sich. Als Gunderson und Drakonas hörten, wie er dabei den Stuhl zurückschob, nahmen sie dies als Zeichen, sich umzudrehen.
»Seine Majestät, König Edward IV.«, stellte Gunderson ihn vor.
Drakonas neigte den Kopf.
Gundersons Gesicht lief rot an. »Ihr steht vor dem König! Verbeugt Euch vor Seiner Majestät!«
»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Drakonas, »aber er ist nicht mein König. Deshalb werde ich mich nicht verbeugen.«
Nun wandte er sich an den König, der ihn nicht verärgert, sondern eher amüsiert betrachtete. »Ihr habt nach mir geschickt, weil Ihr
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