Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
immer ein Zeichen, dass ein Reich mit seinen Nachbarn in Frieden lebte.
Und mit sich selbst – bis jetzt. Bis der Drache gekommen war.
Als Drakonas und sein Begleiter den Palast erreichten, marschierten sie durch das Haupttor in einen weiten Vorhof, der von jungen Männern überfüllt war. Sie steckten zum Teil in ihren Rüstungen, winkten einander zu und beglückwünschten einander lautstark, dass der Drache angesichts ihrer Übermacht offenbar eingeschüchtert geflohen war. Das mussten die Ritter sein, die ausgeritten waren, um den Drachen zu suchen. Drakonas nickte ihnen zu, als er an ihnen vorbeikam. Die Ritter achteten nicht auf ihn, sondern unterhielten sich weiter.
Der wortkarge Wächter brachte Drakonas zum Haupteingang. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, brüllte er dort mit lauter Stimme, dass jemand kommen solle.
Nach einer Weile trat ein Mann aus einer Seitentür und duckte sich unter dem Gerüst hindurch.
»Ah, Gunderson«, raunzte der Wächter. »Genau der Richtige.«
Die beiden berieten sich. Mehrmals hörte Drakonas, wie das Wort »Teufel« fiel. Gunderson war nicht mehr jung. Ihm fehlten fast alle Schneidezähne und ein Auge. Das verbliebene Auge, mit dem er Drakonas jetzt durchdringend musterte, war jedoch hellwach. Er machte einen militärischen Eindruck.
»Ihr habt einen Brief des Königs dabei?«, erkundigte sich Gunderson, der nun von der Wache zu Drakonas herüberkam.
»Allerdings«, bestätigte dieser und griff zu seinem Beutel.
Gunderson gab ihm ein Zeichen. »Hier entlang, bitte.«
Der Torwächter warf Drakonas einen hasserfüllten Blick zu und machte eine letzte Bemerkung über den Teufel.
»Ich kann ja einmal ins Weihwasser springen, Nate, wenn es dir dann besser geht«, gab Gunderson zurück.
»Darüber scherzt man nicht«, murrte der Wächter. Er knurrte etwas in sich hinein, wiederholte sein Schutzzeichen gegen das Böse und stolzierte davon. »Ich werde Bruder Baskold davon erzählen.«
»Tut mir Leid, wenn ich Euch Umstände bereite«, begann Drakonas, der sich Gundersons Schritten anpasste. »Vermutlich hätte ich weniger offen über meinen Auftrag sprechen sollen. In meiner Heimat sind die Menschen nicht so rückständig – äh, ich meine, sie sind einfach offener«, fügte er taktvollerweise hinzu.
»Ihr habt es schon richtig ausgedrückt«, grinste Gunderson. »Rückständig ist das passende Wort. Nate stammt vom Lande. Dort glaubt man immer noch, dass Hexen Kinder fressen und im Mondlicht nackt durch die Wälder tanzen.«
»Ich kann Euch versichern«, meinte Drakonas, »dass ich noch nie irgendwo nackt herumgetanzt bin, weder im Wald noch sonst wo.«
Gunderson lachte. Er hatte ein angenehmes Lachen, laut und herzlich.
»Wartet hier. Ich informiere Seine Majestät.«
Gunderson ließ Drakonas in einem großen Saal stehen. Dann ging er den König suchen. Neugierig sah Drakonas sich um. Die Steinmauern sorgten dafür, dass die Luft in der geräumigen Halle so kühl war wie im Parlamentssaal. Es war auch ähnlich düster hier drin. Die schlitzförmigen Fenster ließen nur wenig Sonnenlicht ein, und da sie nach Osten wiesen, fielen zu dieser Stunde keine Strahlen mehr in den Raum. Es gab einige ausgesucht schöne Möbelstücke, darunter ein kleiner Tisch mit hochlehnigen, lederbezogenen Stühlen, der vor einem riesigen Kamin stand. An einem Ende des Saals stand eine gewaltige, rechteckige Tafel für große Gesellschaften, die hier bewirtet werden konnten. Auf der einen Seite waren Bänke (für das gemeine Volk) aufgestellt, auf der anderen Stühle. Offenbar befand er sich im öffentlichen Saal. Die Privatgemächer der Familie lagen an einem anderen Ort.
Während Drakonas sich müßig umschaute und Einzelheiten registrierte, kam ein Kind von etwa sieben Jahren in die Halle gelaufen, um den Drachenjäger in Augenschein zu nehmen. Es handelte sich um einen blonden Knaben mit großen Augen. Seine Tunika und die Beinkleider waren aus gutem Stoff, aber nicht übertrieben prächtig. Sein etwas schlampiger Aufzug deutete darauf hin, dass er eilig seine Alltagskleider ausgezogen hatte und in förmliche Gewänder geschlüpft war, als er von dem Gast gehört hatte. Drakonas zu Ehren schien er sich immerhin gewaschen zu haben, auch wenn ihm ein Fleck am rechten Ohr entgangen war.
»Mein Vater wird in Kürze eintreffen«, teilte der Junge ihm mit. »Er sagte, ich solle Euch eine Erfrischung anbieten.«
»Nein, danke«, wehrte Drakonas ab, der richtig erriet, dass er vor dem
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