Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
begegnet. Das ist nicht die Art von Liebe, von der die Barden singen, eine Liebe voll Schmerz und Sehnsucht, für die ein Mann sich zu glorreichen Taten verleitet fühlt oder sich im Fluss ertränkt.«
Er summte ein paar Takte aus einem Bardenlied und hob mit seiner vollen Tenorstimme zu singen an.
Ich schließ die Sorg' ins müde Herz,
trag insgeheim den bitt'ren Schmerz,
so tief das Leid, der Blick vergrämt,
Bangen, das jede Hoffnung lähmt,
erinnern an meines Glückes Scherben,
lassen mich heilen nicht noch sterben.
»Allerdings«, fügte er leichthin hinzu, als die Strophe zu Ende war, »dürfte eine solche Liebe nicht sonderlich angenehm sein, und mir geht es mit Ermintrude und den Kindern richtig gut.«
Seine Stimme wurde ernster und leiser. »Für die Kinder würde ich mein Leben geben. Sie sind meine Zukunft. In ihnen werde ich unsterblich. Deshalb muss ich alles in meiner Macht Stehende tun, um diesen Drachen zu vertreiben. Wenn die Kinder unsere Zukunft sind, muss ich dafür sorgen, dass eine sichere Zukunft auf sie wartet. Meint Ihr nicht auch, Drakonas?«
Drakonas sagte »Ja«, und blieb bei seinen Gedankengängen. Menschen waren Experten in der Selbstzerstörung, auch ohne Drachenmagie. Nicht auszudenken, was sie einander antun würden, wenn sie über diese mächtige Waffe verfügten.
»Oder was sie uns antun könnten«, sagte sich Drakonas.
Denn diese Vorstellung machte die Drachen verständlicherweise nervös. Ein Mensch mit Drachenmagie mochte einem Drachen zwar in der Schlacht nicht ebenbürtig sein, aber er war sicher weitaus ernster zu nehmen als bisher. Und eine Menschenarmee, die über Drachenmagie gebot …
»Sie werden mich am Pass erwarten. Diese seltsamen Mönche, die mit Drachenmagie bewaffnet sind. Und dann ist da noch die Zauberschranke, die mich davon abhält, Seth zu betreten …«
Und jeden anderen hinderte, das Königreich zu verlassen.
Diese Erkenntnis traf Drakonas so abrupt, dass er sich aufsetzte und die Decke abwarf.
»Was ist?«, erkundigte sich Edward leicht besorgt.
»Ameisen«, gab Drakonas ausweichend zurück. Er stand auf, schüttelte die nicht vorhandenen Ameisen aus seiner Decke und suchte sich einen anderen Schlafplatz. Nachdem er sich wieder hingelegt hatte, fügte er hinzu: »Das war ein bezauberndes Lied. Wollt Ihr nicht weitersingen?«
»Das war nicht bezaubernd, das war überaus trübselig. Aber Hauptsache, ich halte meinen Mund, ja?«, fügte Edward in leichtem Ton hinzu. »Na gut. Ich singe und Ihr denkt. Irgendwann werdet Ihr mir vermutlich erzählen, worüber Ihr nachdenkt. Irgendwann«, grinste er dann, »müsst Ihr das wohl.«
Der König begann wieder zu singen. Seine volle Stimme erfüllte die Finsternis.
Und wie die Laute lebt und stirbt,
die Liebste auch mein Herz umwirbt.
Das süße Glück, das sie erfüllt,
in Rosenduft mich plötzlich hüllt.
»Irgendwann rührt sich Edward keinen Schritt weiter, bis ich alle seine Fragen beantwortet habe. Wie ich die Menschen kenne, wird das ein höchst unpassender Zeitpunkt sein«, dachte Drakonas grimmig. Er nahm sich vor, dann vorbereitet zu sein.
Keiner kann die Zauberschranke durchdringen und Maristaras Königreich betreten. Andererseits gelangen Leute hinaus. Es laufen Menschen herum, die von Drachenmagie besessen sind, und die stammen offensichtlich aus Seth.
Appetit auf Menschenfleisch, hatte Bran behauptet. Vielleicht hatte es tatsächlich so angefangen. Ein Drache spioniert für Maristara. Sie bezahlt ihn mit Menschen, die er vertilgen darf. Aber dann hat dieser Drache herausgefunden, dass die Menschen nicht nur seinem Magen dienlich sein können. Wenn er seit dreihundert Jahren Menschensklaven erhielt, verfügte er inzwischen möglicherweise über eine ganze Armee voller Drachenmagie. Er und Maristara planten vielleicht längst die Übernahme weiterer Städte, Länder oder Kontinente.
Das spielte keine Rolle.
Was Drakonas fesselte, war der Umstand, dass diese Menschen aus dem Reich hinausgeschmuggelt wurden. Offenbar wurden sie auf eine Weise fortgebracht, bei der sie nicht vermisst wurden. Es musste also einen Ort in oder um Seth geben, den Maristara offen hielt. Drakonas hatte sogar eine Ahnung, wo das sein könnte.
Drachen leben in Höhlen. Sie werden dort geboren. Die Jungen schlüpfen in den hintersten Winkeln der finstersten Höhlen aus ihren ledrigen Eihüllen. Dort bleiben sie hundert Jahre lang und leben von der Nahrung, die ihre Eltern ihnen bringen. Sie
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