Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
zu. Dieser verdammte Drache hat mein Reich in seinen Fängen. Aber es gibt noch einen Grund.«
Edward legte eine Pause ein. Dann seufzte er und erklärte leise: »Wenn ich hier stehen bleibe und Ihr mir keine Antwort gebt, bliebe mir nichts anderes übrig, als mein Pferd zu wenden und nach Hause zu reiten. Und dazu bin ich nicht bereit, noch nicht. Diese Tage haben mir gefallen. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich frei. Ich bin kein König. Ich bin kein Ehemann. Ich bin kein Vater. Ich nehme keine Sünden auf mich. Ich bin nicht die Antwort auf Fragen und nicht die Lösung für Probleme.«
Wieder schwieg Edward. Der Regen hatte nachgelassen, doch die Wolken über ihnen ballten sich weiter zusammen, und der Rauch der brennenden Pinie erreichte ihre kalten, verfrorenen Finger.
»Ich muss in dieses Leben zurück«, sagte Edward leise. »Ich will auch zurück. Aber nicht jetzt. Nicht«, fügte er mit einem plötzlichen, durchtriebenen Lächeln hinzu, »solange ich so eine hinreißende Ausrede habe. Also, reitet voran, Drakonas, ich folge Euch.«
Als Drakonas vor sechshundert Jahren Menschengestalt angenommen hatte, hatte er einen Fehler begangen. Er hatte einen Menschen lieb gewonnen und bewundert. Dieser Mensch war seinetwegen gestorben, und Drakonas hätte beinahe den Verstand verloren. Nie wieder, hatte er sich geschworen.
Diese Worte wiederholte er nun. Nie wieder.
8
Im Kloster in den Bergen des Königreiches Seth fand eine wichtige Zeremonie statt.
Es war die Paarungsnacht, wie man sie nannte. In jeder Vollmondnacht wurden einige Männer, welche die Drachenmeisterin aus einer monatlichen Liste auswählte, die der König ihr vorlegte, unter strenger Bewachung ins Kloster gebracht. Von der Meisterin ausgewählte Priesterinnen erwarteten die Männer. Dann wurden Paare gebildet, welche die Nacht miteinander verbrachten. Am anderen Morgen eskortierte man die Männer wieder nach draußen. Wenn alles gut ging, kamen neun Monate später die Kinder zur Welt.
Die Auswahl der Männer war von der Herrin streng geregelt. Kein Adliger konnte Seiner Majestät heimlich nahe legen, doch bitte einen Tunichtgut zu wählen, nur weil dieser sein Sohn war. Ebenso wenig konnten die reichen Kaufleute diese Ehre durch Bestechung erreichen. Die Männer mussten einen ausgezeichneten Leumund haben und sich durch eine Heldentat, besonderes Mitgefühl oder Opferbereitschaft hervorgetan haben, die von Zeugen belegt wurde. Obwohl die Auserwählten ihre Kinder niemals kennen lernen würden, konnten sie ihr Leben lang stolz auf diese Auszeichnung zurückblicken.
Jeder trug seine besten Kleider, als wäre er der Bräutigam auf seiner eigenen Hochzeit. Dieser Zug wurde jedoch nicht von dreisten Scherzen und anzüglichem Gelächter begleitet. Die Menschen aus Seth hielten die Schwestern, die sie vor den Drachen schützten, in hohen Ehren. Die Zeremonie, die den Fortbestand des Schwesternordens sichern sollte, war heilig. Deshalb erklommen die Bräutigame und ihre Begleiter den Berg voller Ehrfurcht.
Nach einem Marsch durch brütende Hitze und sintflutartigen Regen trafen sie zur Abenddämmerung ein. Der Himmel war schließlich doch noch aufgerissen, und am rosaroten und safranfarbenen Horizont funkelte der Abendstern. Bellonas Kriegerinnen, die ihre Rüstungen auf Hochglanz poliert hatten, holten die Männer an dem Tor ab, das durch die hohe Mauer ins Kloster führte.
Die Männer hatten gebadet, sich rasiert und die Haare gekämmt. Sie trugen einfache, weiße Gewänder und liefen barfuß, um ihre Ergebenheit zu zeigen, waren jedoch mit Girlanden geschmückt. Einer nach dem anderen wurde beim Eintreten von den Wachen auf Waffen durchsucht. Man überprüfte ihre Namen anhand der Liste, und wenn alles in Ordnung war, wurden sie eingelassen. Die Freunde und die Familienangehörigen winkten ihnen zum Abschied zu und riefen Segenswünsche, auch wenn so manche Ehefrau die Tränen bezwingen musste. Für die Frau, die nun die Nacht allein verbringen musste, war es eine bittersüße Ehre.
Die Kriegerinnen geleiteten die Männer in den Garten des Klosters, wo sie von den Schwestern erwartet wurden. Alle Angehörigen des Ordens waren versammelt. Diejenigen, mit denen die Männer sich verbinden sollten, standen in einer Reihe auf der einen Seite des Quadrats, die übrigen Schwestern ihnen gegenüber. Heute Nacht würde Melisande die Männer im Namen der Schwestern begrüßen und willkommen heißen. Normalerweise kam diese Aufgabe der
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