Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Tunnel kommen mir unnatürlich vor. Als wären sie gezielt angelegt. Seid Ihr sicher, dass Ihr wisst, wo wir hingehen?«
Da Edward diese Frage bereits zum fünften Mal stellte, sah Drakonas keine Veranlassung, ihm zu antworten.
Er blieb auf der Hut, bewegte sich langsam und aufmerksam, ohne auf Edwards Drängen zu achten. Weil das gebremste Tempo von Drakonas den König aufregte, hatte er einmal versucht, vorwegzustürmen. Drakonas hatte ihn zurückgezogen. Irgendwo hier war Maristara. Sie musste hier sein. Wo sonst? Allmählich zog Drakonas in Betracht, dass sie nicht wusste, dass er und der König da waren. Oder aber, sie wollte sich ihrer auf andere Weise entledigen.
»Der Tunnel muss bald zu Ende sein«, meinte Edward mit einem Mal. »Ich weiß, es klingt komisch, aber ich rieche Parfüm.«
»Das ist kein Parfüm«, stellte Drakonas fest, der nun stehen blieb. »Das ist Weihrauch.«
Weihrauch, ja, und noch etwas – Menschen! Menschengeruch hatte Drakonas in einem Drachenhort noch nie wahrgenommen. Der Geruch der Frauen mit den Babys war ihm gleich beim Betreten der Höhle aufgefallen, aber die Soldaten und die falschen Nonnen waren nicht über die erste Höhle hinausgekommen. Der riesenhafte Mann, Grald, war in die zweite Höhle vorgedrungen, aber nicht weiter. Bisher hatte Drakonas im Labyrinth des Horts keine weiteren Menschen mehr gerochen. Hier jedoch war der Menschenduft stark, und er kam von irgendwo weiter vorne. An dem Ort, den sie bald betreten würden, gingen Menschen ein und aus, die häufig und aus freien Stücken dorthin kamen.
Denn es stank nicht wie ein Sklavenpferch, sondern es duftete nach Menschenfleisch und einer Mischung aus Blumen, Weihrauch und Parfümölen.
Außerdem kein Anzeichen für den Drachen. Drakonas' Kehle schnürte sich zusammen, als ihm auffiel, dass er seit rund hundert Schritten keine Drachenschuppe mehr bemerkt hatte.
»Warum bleibt Ihr stehen?«, wollte Edward wissen. »Wenn es nach Weihrauch riecht, haben wir unser Ziel offenbar erreicht. Wir müssen uns sputen, wenn wir die Meisterin vor diesen Mördern retten wollen!«
»Zur Hölle«, murmelte Drakonas erschüttert. »Wir sind weiter gekommen, als ich je für möglich gehalten hätte.«
Er eilte los. Edward blieb ihm dicht auf den Fersen. Als der Tunnel eine Kehre machte, hätten sie sich um ein Haar die Köpfe an einer Steinmauer eingerannt.
»Eine Sackgasse!« Edward war bitter enttäuscht.
»In jeder Hinsicht«, bestätigte Drakonas grimmig.
Das war der Hinterhalt. Sie saßen in der Sackgasse fest. Er staunte, dass er nicht hören konnte, wie der Drache sich an sie heranpirschte, doch schließlich war Maristara alt und mächtig. Und gerissen. Beide Hände am Stab fuhr er herum.
Nichts.
Nichts als Stille und Finsternis.
»Verdammt!«, fluchte Drakonas. Voller Anspannung schlug er auf das Nichts ein.
Edward schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. »Wisst Ihr, was komisch ist? Ich rieche immer noch Parfüm.«
»Ja, ich auch«, stellte Drakonas fest. Dann begann er zu lachen.
Seine Gedanken wurden grau, bis sie dieselbe Farbe hatten wie die Felswand, die ihnen den Weg versperrte. Sobald er den richtigen Farbton hatte, stieß er seinen Stab in die Wand.
»Heilige Mutter und alle Heiligen des Himmels, steht uns bei!«, flüsterte Edward, der einen Schritt zurückwich.
»Eine Illusion«, strahlte Drakonas.
»Das verstehe ich nicht.« Edward war sichtlich erschüttert. Vorsichtig streckte er die Hand aus. Seine Finger berührten harten Stein. Er zuckte zurück und starrte Drakonas an. »Wie macht Ihr das?«
»Ihr habt Recht. Wir haben das Kloster gefunden.« Drakonas wies auf die Wand. »Dahinter liegt ein Saal voller Licht. Mit Weihrauch versetzter Torf in eisernen Feuerschalen. Am anderen Ende des Raumes befindet sich ein Marmoraltar. Uns gegenüber führt eine weitere Tür nach draußen. In den Boden ist ein Auge eingeritzt.«
»Ihr seid verrückt.« Voller Skepsis starrte Edward seinen Begleiter an. »Ich sehe nur kalten, harten Stein.«
»Ihr seht! Seht nicht hin«, riet ihm Drakonas. »Verlasst Euch nicht auf Eure Augen. Sie sind irregeleitet. Hört auf Eure anderen Sinne. Ihr riecht den Weihrauch.«
Kopfschüttelnd betrachtete Edward die Wand. »Das geht nicht. Ich weiß, was ich sehe und was ich fühle. Ich sehe und fühle harten Stein.«
Drakonas zog seinen Stab zurück. Er warf noch einen Blick in den Altarraum und drehte sich achselzuckend um. »Na gut, dann war es das wohl. Wir
Weitere Kostenlose Bücher