Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
kleinen Beistelltisch mit goldenen Rändern spendete das Licht, das ihn zu diesem Zimmer und seiner einzigen Bewohnerin gezogen hatte, einer alten Frau, die in ihrem Bett schlief.
Sie lag mit offenem Mund auf dem Rücken. Ihr schmaler Körper war mit einer Seidendecke mit Goldstickerei bedeckt. An ihrem Hals und an den Handgelenken war Spitze zu sehen. Sie trug eine Kette mit einem goldenen Medaillon. Beide Hände lagen auf der Seidendecke, und sie waren mager und knochig, voller blauer Adern. Das gelblich weiße Haar hatte jemand zu ordentlichen Zöpfen geflochten. Es hing unter der weißen Spitzenkappe hervor, die ihren Kopf bedeckte. Am Fußende des Bettes ruhte ein sauber zusammengelegter Morgenmantel aus bestickter Seide.
»Schwach und gebrechlich«, sagte Edward zu sich selbst, weil ihm die Worte des Mörders einfielen. Diese alte Frau ist so schwach und gebrechlich, dass sie mir nicht mehr von Nutzen ist. Die Drachenmeisterin wird heute Nacht sterben.
Edward hatte so lange von dem zauberhaften Gesicht in dem Topas geträumt, dass er »schwach und gebrechlich« bis zu diesem Augenblick nicht mit »die Drachenmeisterin wird sterben« in Verbindung gebracht hatte. Als er nun die alte Frau betrachtete, die friedlich in ihrem Bett schlummerte, begriff er, dass sie die Meisterin war.
»Das ist die Drachenmeisterin, und sie ist diejenige, die heute Nacht sterben soll.«
Er schaute sich in dem Zimmer um, das mit allen erdenklichen Reichtümern ausgestattet war. Und dennoch lag sie ganz allein hier. Keine liebenden Töchter, keine trauernden Söhne, nicht einmal eine Zofe, die ihr Wasser brachte oder den Docht der rauchenden Öllampe kürzte. Und hier sollte sie auch gewaltsam sterben.
Die arme Frau, dachte er voller Mitgefühl. Die arme Frau.
Hin- und hergerissen starrte er sie an. Was sollte er tun? Sie wirkte so schwach, dass er sie womöglich schon umbrachte, wenn er sie nur hochhob. Aber er konnte doch nicht zulassen, dass man sie brutal ermordete. Nachdem er aufmerksam ihrem Atem gelauscht hatte, stellte er fest, dass dieser zwar schwach ging, aber nicht dem rasselnden Atem der Sterbenden glich.
Sie war zwar alt und schwach, doch es stimmte, was Grald, der Riese, gesagt hatte. Vielleicht lebte sie noch eine ganze Weile. Verdrossen sah sich Edward in dem leeren Zimmer voller Schätze, aber ohne jede Hilfe um. Vielleicht brauchte sie nur gute Pflege. Er würde seinen Leibarzt rufen, einen klugen Mann, der sich auf die Erhaltung der Gesundheit spezialisiert hatte. Und von seinem Drachen würde er erst anfangen, wenn sie wieder bei Kräften war.
»Und wenn sie sich nicht erholt und nicht stark genug ist, den Drachen zu vertreiben, kann sie wenigstens in Frieden sterben, mit einem Priester an ihrer Seite. Und sie bekommt ein anständiges Begräbnis«, fügte er finster hinzu, weil er daran dachte, dass Grald zurückkommen sollte, um ihren Körper zu den anderen zu schmeißen.
Edward kniete am Bett nieder, damit er nicht drohend über ihr stand, wenn sie erwachte. Dann streckte er die Hand aus und berührte sie sanft an der Schulter. »Herrin«, begann er leise.
Ihre Lider flatterten, doch sie wachte nicht auf. Sie schien im Tiefschlaf zu liegen. Das fand er merkwürdig, denn alte Menschen neigten im Allgemeinen eher zu einem leichten Schlaf.
Vielleicht hatte man sie betäubt. Mit Mohnwasser zum Schlafen gebracht.
Er schob ihre schlaffen Arme unter die Decke und wickelte sie darin ein wie ein Baby. Dann hob er sie aus dem Bett. Ihre Knochen wirkten federleicht. Der Kopf rollte an seine Schulter, doch sie zeigte mit keiner Miene, dass sie mitbekam, wie ihr geschah. Jetzt war der König sicher, dass man ihr etwas eingeflößt hatte.
Als er sie zur Tür trug, schleifte die Decke hinter ihm her und verfing sich zwischen seinen Füßen. Aus Angst, darüber zu stolpern, blieb er stehen, um die Enden mit einer Hand zusammenzuraffen, ohne dabei die gebrechliche Frau loszulassen. Damit war er noch beschäftigt, als er Stimmen hörte.
Edward erstarrte und lauschte gebannt.
Der Regen trommelte auf das Dach, und in weiter Ferne donnerte es. Er hörte Stimmen, dann Schritte – nasse Sandalen, die über den Marmorboden eilten. Jemand näherte sich in großer Eile.
Der Mörder!
Edward betrat den Gang und trug seine Bürde zu der Tür, die noch immer etwas offen stand. Der Kopf der Alten stieß bei jeder Bewegung leicht gegen seine Brust. Und die Decke schleifte immer noch am Boden.
11
Melisande wurde unsanft aus
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