Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
hinausrinnen.
Edward achtete weder auf die Felsen noch auf die Bäume, während er ohne Rücksicht auf sich selbst den Hang hinabeilte.
»Achtung!«, brüllte er. »Melisande, in Deckung!«
Die Priesterin hob den Kopf und blickte auf die andere Seite der Schlucht, wo die Kriegerinnen ihre Bögen erhoben hatten. Sie sah die Pfeile, die auf sie zielten. Da streckte sie die Hände aus.
»Bellona!«, schrie sie flehentlich.
»Feuer!« Die klare Stimme klang kalt und stolz.
Edward landete neben Melisande auf dem Felsen, packte ihre Taille und warf sie in ein Gewirr aus nassen Büschen, toten Blättern und Gras, das der Sturzbach angeschwemmt hatte. Während die Pfeile bereits ihren Standort durchbohrten, hechtete er ihr nach.
Melisande sank in sich zusammen, aber Edward kam rasch wieder hoch und zerrte sie hinter sich her. Nun kam Drakonas den beiden eilig entgegen. Er nahm Melisandes schlaffen, widerstandslosen Arm und zerrte sie nach oben. Edward schob von unten hinterher.
»Feuer!«, ertönte der nächste Befehl.
War es Einbildung, oder klang die Stimme erleichtert? Und konnte es ebenfalls Einbildung sein, oder waren diese Frauen erbärmliche Schützen? Drakonas warf sich flach auf den Bauch und zog Melisande neben sich. Edward schirmte sie mit seinem Körper ab. Dann landeten rundherum klappernde Pfeile auf den Felsen, prallten ab, blieben in der Erde stecken oder fielen zwischen die Bäume.
Sofort waren sie wieder auf den Beinen. Drakonas hielt die benommene Melisande fest und schleifte sie regelrecht den Berg hinauf. Da er Edward keuchen und fluchen hörte, ging er davon aus, dass der König unverletzt war.
So erklommen sie den Berg, rutschten, stürzten, kamen wieder hoch und rannten weiter. Melisande bewegte sich wie betäubt, als wäre ihr ganz gleich, was mit ihr geschah.
Daher überraschte sie ihn erneut, als sie auf halbem Wege abrupt stehen blieb. Sie schüttelte Drakonas' Hand ab, ignorierte Edwards Drängen und blieb stehen, um sich nach den Soldatinnen umzudrehen. Diese waren wieder aufgebrochen und galoppierten nun in die Schlucht, um die Verfolgung aufzunehmen.
»Ich habe Euch gewarnt«, knurrte Drakonas. »Sie will Euch töten.«
Zwei Tränen traten Melisande in die Augen und rannen über ihre Wangen, wo sie dünne Spuren in ihrem verschmierten Gesicht hinterließen.
Dann aber wendete sie sich ab und schüttelte seine Hand ab. Sie brauchte keine Hilfe, denn nun kletterte sie selbstständig weiter.
19
Die Zeit ist auf unserer Seite, überlegte Edward. Die Kriegerinnen mussten zunächst die Schlucht durchqueren. Das würde Zeit kosten, denn sie mussten sich nicht nur einen Weg durch die entwurzelten Bäume und die Äste suchen, welche die plötzliche Flut herangetragen hatte, sondern auch durch zähen Schlamm reiten, der sich an den Hufen der Pferde festsaugte. Anschließend war noch der Hang auf dieser Seite zu erklimmen, und wie steil und mühselig dieser Aufstieg war, konnte Edward bezeugen.
»Ihr kümmert Euch um Melisande«, wies Drakonas ihn an, sobald sie die Pferde erreichten. »Ich übernehme die Führung.«
Dieses eine Mal gehorchte Edward mit Freuden. Nach einer besorgten Frage, ob sie auch wirklich unverletzt sei – eine Frage, die sie weder beantwortete noch zu hören schien –, half er Melisande auf ein Pferd. Erst danach erkundigte er sich, ob sie reiten könne.
»Ja«, antwortete sie, doch dabei sah sie ihn nicht an. Sie blickte starr geradeaus. Erst als er ihr die Zügel in die klammen Finger legte, griffen ihre Hände zu.
Der König schwang sich rasch auf sein eigenes Pferd und sah sich besorgt nach ihr um.
»Alles wird gut«, sprach er ihr tröstend zu.
Wortlos saß Melisande auf ihrem Pferd.
Da ritt er zu ihr hinüber und legte seine Hand auf die ihre. Seine Berührung ließ sie zusammenfahren, doch immerhin schaute sie ihn nun aufmerksam an, ohne ihm die Hand zu entziehen.
»Ihr müsst leben«, sagte er eindringlich. »Ihr seid die Einzige, die sie retten kann.«
Als sie ihm daraufhin einen langen Blick zuwarf, sah er einen Lebensfunken, der sich in den leeren, blauen Augen regte.
Jetzt kam Drakonas zurückgaloppiert. »Händchen halten könnt Ihr später!«, fauchte er mit einem Blick auf die gefassten Hände.
Sofort zog Edward seine Hand zurück. Melisande nahm die Zügel, richtete sich auf und trieb ihr Pferd hinter Drakonas. Edward übernahm die Nachhut.
Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden, sondern folgte einfach Drakonas. Da dieser sich
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