Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
geübt, gegen Drachen zu kämpfen.«
Ihr Mut war beeindruckend, und Drakonas belohnte sie dafür, indem er einen Schritt zurücktrat, damit er weniger bedrohlich wirkte. Dann warf er einen Blick über die Schulter auf die Prozession der Kriegerinnen, die den gegenüberliegenden Hang hinabritten.
Melisande holte tief Luft. Ihr Körper entspannte sich. Sie faltete die Hände und knetete ihre Finger.
»Warum seid Ihr hier?«, fragte sie übergangslos. »Seid Ihr Attentäter?«
Drakonas lächelte amüsiert. »Ich gebe zu, dass ich äußerlich nicht viel hermache, Herrin, aber sieht Edward in Euren Augen wie ein Attentäter aus? Oder verhält er sich so?«
Die Priesterin blickte zur Höhle zurück. Ein Sonnenstrahl hatte Edwards Gesicht erreicht. Er war auffällig bleich, und an seiner Wunde klebte noch Blut, das sie daran erinnerte, was er um ihretwillen auf sich genommen hatte. Noch im Schlaf lag seine Hand an seiner Waffe, um sie im Augenblick seines Erwachens verteidigen zu können. Wenn sie sich seine edelmütige Tapferkeit ins Gedächtnis rief, verspürte sie unwillkürlich Reue, Rührung und Neugier.
»Nein, wie ein Mörder sieht er nicht gerade aus«, räumte sie ein. »Aber warum seid Ihr dann hier?«
»Ihr habt doch gehört, was er in der vergangenen Nacht sagte. Wir haben die Drachenmeisterin gesucht. Wir wollten eine Audienz bei ihr, denn Seine Majestät ist in einer prekären Lage. Ein räuberischer Drache verwüstet sein Reich. Er hatte gehofft, die Meisterin überreden zu können, ihn zu begleiten, um den Drachen durch ihre Magie zu vertreiben.«
Melisande machte große Augen. »Wenn das wahr ist, habt Ihr nicht gerade den üblichen Weg genommen, um eine Audienz zu erlangen.«
»Ihr müsst zugeben, dass Euer Volk Fremden gegenüber wenig gastfreundlich ist«, bemerkte Drakonas. »Wir sind zwar durch die Hintertür gekommen, aber ursprünglich wollten wir die Vordertür nehmen.«
»Und wieso habt Ihr Eure Meinung geändert?«
»Wir haben eine Intrige mit angehört. Jemand wollte die Meisterin töten«, erklärte Drakonas. »Zu diesem Zeitpunkt wussten wir das nicht, aber wir hatten den Drachen sprechen hören.«
Melisande stockte der Atem. Erneut sah sie zu Edward hin. »Also kam er, um …«
»… um Eure Meisterin zu retten. Stattdessen rettete er dummerweise den Drachen.«
»Oh!« Ein ersticktes Lachen entrang sich Melisande. Sie schlug eine Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken. »Das ist nicht komisch. Es ist entsetzlich. Ich glaube, ich bin schon hysterisch.«
Einen Augenblick schwieg sie, bis sie sich wieder im Griff hatte. »Ihr habt von diesem Königreich gesprochen.«
»Er ist ein König. König Edward von Idlyswylde. Sein Reich liegt nicht weit von hier. Vor einigen Jahrhunderten waren Eure Reiche Handelspartner.«
»Wie geht es ihm?«, erkundigte sie sich schließlich. Offenbar war sie beschämt, weil sie schlecht von ihm gedacht hatte.
»Er wird eine Narbe zurückbehalten, aber die wird ihm wohl wenig ausmachen. Sie wird ihn immer an Euch erinnern.«
Wieder kehrte die Röte in ihre Wangen zurück, diesmal begleitet von einem scheuen Lächeln, das jedoch nicht lange anhielt. Sie war abgelenkt gewesen, doch ihr eigentliches Ziel hatte sie nicht aus den Augen verloren.
»Dankt Seiner Majestät in meinem Namen, wenn er erwacht. Aber jetzt muss ich gehen. Ich muss zu meinem Volk zurück und tun, was ich kann, um diese Gefahr zu beseitigen. Zumindest muss ich ihnen alles erzählen, damit wir gemeinsam gegen den Drachen kämpfen können. Bitte zeigt mir den Weg zu der Höhle.«
Drakonas schüttelte den Kopf.
»Ich bin also Eure Gefangene«, schlußfolgerte Melisande wütend. »Bloß weil Ihr mir das Leben gerettet habt, bin ich noch lange nicht Euer Eigentum! Ich bin Hohepriesterin. Ich habe Verpflichtungen.«
»Kommt her.« Drakonas wies erneut auf die Erlen.
Melisande rührte sich nicht von der Stelle. Misstrauisch und voller Trotz funkelte sie ihn an, schob aber die Hände hinter ihren Rücken.
»Kommt her«, wiederholte er. »Ich möchte Euch etwas zeigen. Keine Angst, ich fasse Euch nicht noch einmal an.«
Widerstrebend kam sie zu ihm herüber, blieb aber auf Armeslänge von ihm entfernt. Er zeigte nach vorn: »Seht mal dort drüben, auf diesem schmalen Grat.«
Die Kriegerinnen waren bereits viel näher. Sie bewegten sich schneller, als er erwartet hatte. Offenbar hatten sie einen leichteren Weg über den Hang gefunden. Sie befanden sich auf der anderen Seite der
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