Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
verantwortlich«, erinnerte er sich. »Sie vertraut mir. Sie hat sich mir in die Hände gegeben. Ich muss sie in Ehren halten.«
In Ehren halten.
Bei diesem Ausdruck fiel ihm unvermittelt und gänzlich unerwünscht sein Ehegelöbnis ein. Und mit ihm kam die Erinnerung an seine Frau.
Ermintrudes Gesicht mit seinem fröhlichen Lächeln und den verschmitzten Grübchen öffnete die Tür zu seinem Gewissen und sah ihn fragend an.
Hastig schlug er die Tür zu. Voller Scham und Schuldgefühle wendete er ihr den Rücken zu.
20
Seit ihrer Kinderzeit hatte Bellona Melisande geliebt. Mit ihren goldblonden Haaren und der hellen Haut war sie ein hübsches Kind gewesen, in dessen blauen Augen eine Weisheit gestanden hatte, die bei Kindern eher ungewöhnlich ist. Es war, als hätte sie von Geburt an alle Geheimnisse der Menschheit gekannt. Es war nicht in erster Linie ihre Schönheit, die Bellona so anzog, obwohl das ältere Mädchen der Kleinen mit dem Sonnenhaar gern beim Spielen zugesehen hatte. Nein, Bellona waren dieselben Eigenschaften aufgefallen, die auch der Meisterin auffielen. Schon mit sechs Jahren hatte Melisande die anderen beim Spielen angeleitet. Ihre rasche Auffassungsgabe hatte die Lehrerinnen beeindruckt. Zudem besaß sie eine große Begabung für die Magie des Blutfluchs, eine Gabe, an der es Bellona mangelte, worüber sie heimlich traurig war.
Nachdem Bellona zur Kriegerin bestimmt worden war, merkten ihre Vorgesetzten rasch, dass sie das Zeug zur Anführerin hatte. Ein Kind mit dunklen Haaren und dunklen Augen, das seine Gedanken verbarg. Es sprach wenig, ließ niemanden an sein Herz, beobachtete genau und nahm nur an den Spielen teil, die ihren Körper forderten und ihre Stärke erhöhten.
Als sie heranwuchsen, fühlte die sensible Melisande häufig, wie diese dunklen Augen auf ihr ruhten, und in der stillen, starken Bellona fand sie einen sicheren Hafen.
Der Drache sah es gern, wenn sich zwischen Kriegerinnen und Priesterinnen Liebesbande entspannen. Auf diese Weise blieben beide an das Kloster gebunden, aneinander und an die Meisterin. Das wusste natürlich niemand, doch es hätte auch wenig ausgemacht, wenn sie es gewusst hätten.
Bellona erinnerte sich daran, wie sie Melisande zum ersten Mal ihre Liebe gestanden hatte. Es war eine quälende Erinnerung, denn nun ritt sie am Rand der Klippe entlang und suchte Melisande, die sie töten sollte. Die Kriegerin nutzte die Erinnerung, um sich selbst weiter anzuspornen, bohrte sie in ihr Fleisch, bis das Blut floss. Es war ein sengender Schmerz, doch der war leichter zu ertragen als der rasende Schmerz des Verlustes.
Melisande war sechzehn gewesen und Bellona achtzehn. In jener Nacht, einer Paarungsnacht, hatte Bellona keinen Dienst gehabt. Gemeinsam mit Melisande hatte sie im Dunkeln unter den Bäumen gesessen und den Wachen gelauscht, die über die »Kühe« und die »Bullen«, die ihnen zu Dienste waren, Witze rissen.
Wäre Bellona bei ihren Kameradinnen gewesen, so hätte sie am lautesten gelacht. Wenn sie jedoch mit Melisande dasaß und sich fragte, wie viel diese wohl verstand, fand sie die Witze derb und unpassend. Sie wünschte, die anderen würden damit aufhören, denn einer jungfräulichen Priesterin sollte so etwas nicht zu Ohren kommen.
Gerade wollte Bellona vorschlagen, sich ein stilleres Plätzchen zu suchen, als Melisande leise aufschrie.
»Eine Biene hat mich gestochen«, stellte sie erschüttert fest. »Sieh dir das an.« Sie hielt ihren Arm ins Licht.
Bellona bemerkte die rote Schwellung auf der weißen, glatten Haut. »Ich glaube, der Stachel steckt noch«, meinte Bellona.
»Der Stich könnte sich infizieren«, sagte Melisande ruhig. »Du musst ihn heraussaugen. Ich würde es ja selber tun, aber ich komme nicht dran.«
Etwas in ihrer Stimme ließ Bellona aufmerken. Ihr Herz schlug schneller.
»Du solltest zur Heilerin gehen, Priesterin«, begann Bellona, der das Blut in den Adern klopfte.
»Dafür bleibt keine Zeit«, widersprach Melisande. »Die Infektion könnte sich ausbreiten. Schnell, Bellona, rette mich.«
Sie streckte ihren weichen, weißen Arm aus, der nach der Nachtluft duftete.
Als Bellonas Lippen das warme Fleisch berührten, fühlte sie, wie Melisande erbebte. Sie richtete sich wieder auf.
»Es tut mir Leid«, stieß sie aus und rückte von Melisande ab.
»Das sollte es auch«, antwortete diese und zog die Kriegerin an sich. Sie glitten auf den Boden in das weiche, duftende Gras. »Denn du hast mich so lange
Weitere Kostenlose Bücher