Das verbotene Land 2 - Drachensohn
tun!« Evelina holte das Messer, das sie unter ihr Kopfkissen gesteckt hatte. Bis sie es in der Hand hielt und sich umdrehte, war Nem verschwunden. Die Tür hatte er zugemacht.
Evelina schäumte vor Wut. Unter Flüchen schleuderte sie das Messer wieder aufs Bett und warf sich daneben. Da kam ihr ein Gedanke.
Er zeigt mir den Weg nach draußen, ob er will oder nicht. Früher oder später geht er fort, und dann hänge ich an seinen Fersen. Ich darf nur den Augenblick nicht verpassen.
Vielleicht plante er schon den Aufbruch. Natürlich hatte er behauptet, er wolle nicht gehen, aber alle Männer waren Lügner.
Nem bewohnte das Zimmer neben ihr. Evelina hörte ihn umhergehen. Sie schlich zur Tür, öffnete sie ein Stückchen und spähte hinaus. Er hatte seine Tür nicht zugemacht. Sie stand weit offen.
Leise schob sie ihre eigene Tür wieder zu. Sie hob das Messer auf und band es an den Tunnelgürtel, der ihren Unterrock hielt. Das Mieder zog sie darüber, damit die Waffe weniger auffiel. Dann legte sie den Umhang um und eilte zur Tür zurück, die sie jedoch nicht öffnete. Mit erwartungsvoll angehaltenem Atem blieb sie daneben stehen.
Da hörte sie seine Tür zuklappen. Er ging an ihrem Zimmer vorbei den Gang hinunter. Behutsam öffnete sie ihre eigene Tür und spähte nach draußen.
Er trug seinen Mantel. Er wollte irgendwo hin.
Evelina wartete, bis Nem an der Treppe war. Dann folgte sie ihm. Das Messer an ihrem Bauch vermittelte ihr Sicherheit. Auf halber Treppe blieb Nem stehen. Er sprach mit jemandem. Evelina lauschte aufmerksam.
»Drachensohn.« Das war einer der Mönche. »Du bist früh unterwegs. Willst du spazieren gehen? Wunderbar. Ich begleite dich. Ich brauche auch Bewegung.«
Ein Aufkeuchen war zu hören, dann ein Knirschen und ein dumpfer Aufschlag. Befremdet verharrte Evelina auf der obersten Stufe. Was war geschehen? Sie traute sich nicht weiter.
Doch eine zuschlagende Tür trieb sie erneut an. Hastig lief sie die Treppe hinunter. Unten kam sie abrupt zum Stehen.
Dort lag der zusammengesunkene Körper eines Mönchs. Das Knirschen waren Knochen gewesen – sein Hals war gebrochen. Der Mönch rührte sich nicht. Er musste tot sein.
Evelina raffte die Röcke, um damit den Toten nicht zu streifen, umging den Körper und eilte zur Tür.
Die Sonne blinzelte wie ein vor Müdigkeit rotes, zusammengekniffenes Auge über den Horizont. Es war noch niemand auf den Beinen. Nem war mit schnellen, zielgerichteten Schritten bereits halb über den Hof geeilt. Jetzt wusste Evelina, was er vorhatte. Er wollte selbst davonlaufen. Deshalb hatte er den Mönch getötet, der ihn bewachen sollte. Er floh – und sie ließ er zurück.
»Wenn ich mit dir fertig bin, Monstermann, dann bist du kein Mann mehr.« Sie berührte das Messer an ihrem Gürtel und verzog boshaft den Mund. »Nur noch ein Monster.«
Mit diesem Versprechen hastete sie ihm nach.
29
Markus hockte im Halbdunkel. Seine Hand drückte gegen eine kalte Mauer.
»Du kommst nicht rein!« Er schwitzte vor Angst. »Geh weg! Bleib draußen!«
»Zu spät«, sagte eine Stimme.
Markus zuckte zusammen. Schaudernd wachte er auf. Er stand vor einer Mauer und drückte mit aller Gewalt dagegen.
Befremdet wich er zurück.
»Du bist schlafgewandelt«, klärte die Stimme ihn auf.
Immer noch durcheinander, aber wenigstens wach fiel Markus der Drache wieder ein, der versucht hatte, die Tür zu seinem inneren Zimmer einzuschlagen. Er holte Luft und kehrte sich von der Wand ab, die wirklich eine Wand war und keine Tür. Doch sein Schrecken war real, kein Traum. Sein Herz raste, und er war schweißgebadet. Mit regelmäßigen Atemzügen wartete er, dass die Furcht nachließ, und sah sich um.
Er befand sich in einem Haus, das nur einen Raum hatte. Es erinnerte an eine Höhle, denn die Wände und die tief hängende Decke bestanden aus groben, unregelmäßigen Steinblöcken, die zusammengeschoben waren. Der Boden war gestampfter Lehm. Durch zwei einfache Fenster rechts und links einer schlecht eingepassten Holztür fiel graues Morgenlicht.
Ein Strohsack auf dem Boden war die einzige Einrichtung. Der Strohsack war in der Mitte eingedrückt. Vage erinnerte sich Markus daran, von ihm aufgestanden zu sein. Daneben gab es noch einen Unrateimer und eine Wasserschüssel. Durch die Tür pfiff ein klagender, kalter Wind. Sie wurde von einem Lederriemen zugehalten, der an einem Eisenhaken an der Wand befestigt war.
Der Mann, der mit ihm gesprochen hatte, stand am Fenster.
Es
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