Das verbotene Land 2 - Drachensohn
sich loszureißen, doch die Krallen bohrten sich tief in seinen Verstand. Er konnte sich nicht befreien.
Hilfesuchend wandte Markus sich an seinen Bruder.
Nem sah ihm ungerührt zu. Als die Klaue sich tiefer in Markus hineinbohrte, seine Seele suchte, schlossen sich seine Augen.
Geh weg!, schrie das Kind. Geh weg!
Ein brennendes Bäumchen am Ufer.
Ein Schwert. Das Schwert meines Vaters …
Markus erschuf ein Schwert aus flammender, geschmolzener Magie. Mit beiden Händen erhob er es und stürmte aus seinem Zufluchtsort mitten in die dunkle Höhle des Drachengeistes.
Im grellgelben Licht des Schocks konnte Markus den Drachen deutlich erkennen. Grald war maßlos überrascht, so wie damals Drakonas, als ein Mensch in seine Gedanken eingedrungen war.
Das Schwert zerschellte. Die Klaue ging in Flammen auf. Das Feuer verbrannte ihn. Der Schmerz drohte Markus die Besinnung zu rauben, doch er klammerte sich an sein Bewusstsein, denn innerhalb des Drachengeistes durfte er nicht stürzen. So warf er sich zurück in seine eigene, kleine Kammer und schlug mit letzter Kraft die Tür zu.
Draußen tobte der Feuer speiende Drache.
Drinnen war alles still und dunkel. Markus ließ das Schwert und allen Schmerz los. Er rollte sich in der Finsternis zusammen und verdrängte Lärm und Hitze und den Verrat seines Bruders.
»Da ist er.«
»Ich sehe nichts.«
»Da drüben. Das Bündel auf dem Weg.«
Die beiden Mönche, die lautlos die Straße herunterkamen, näherten sich misstrauisch. Im Mondlicht glitzerte eine Klinge.
»Schnell und sauber«, befahl der eine. »Mitten ins Herz.«
Das Messer blitzte silbern auf.
»Halt!«
Der Mönch zuckte zusammen. Vor lauter Schreck ließ er das Messer fallen.
»Grald!«, keuchte er. »Was macht Ihr denn hier?« Befremdet sah er sich um. »Eben wart Ihr noch da hinten?«
»Ich bin euch keinerlei Rechenschaft schuldig, was mein Kommen und Gehen angeht.« Grald ballte eine Hand zur Faust. »Verschwindet. Ich brauche euch nicht mehr.«
Der Mönch hob die Hände, als wolle er einen Schlag abwehren, und wagte einen kläglichen Protest.
»Aber, Grald, Ihr habt uns befohlen, ihn zu töten.«
»Und jetzt befehle ich euch, ihn nicht zu töten«, herrschte Grald ihn an. »Ich habe es mir anders überlegt.«
Die Mönche zögerten. Sie rührten sich nicht von der Stelle.
»Was steht ihr da noch rum?«, brüllte ihr Herr. »Verschwindet!« Mit geballten Fäusten trat er auf sie zu. »Seit wann wagt ihr schwachköpfigen Irren, mir zu widersprechen?«
Die Mönche machten kehrt und liefen davon.
Grald beugte sich über Markus. Er legte eine Hand an seinen Hals und tastete nach dessen Puls. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der junge Mann noch am Leben war, schüttelte er ergeben den Kopf. Er legte ihn über seine Schulter, als wäre der Prinz noch das Kind aus dem Turmzimmer.
»Vielleicht hörst du mir nächstes Mal zu«, knurrte Drakonas.
28
Es war ein hartnäckiges Klopfen. Es hörte nicht auf, so sehr Evelina sich auch bemühte, es zu überhören. Nachdrücklich riss es sie aus ihrer einzigen Zuflucht, dem Schlaf. Sie kämpfte gegen das Erwachen an, öffnete aber doch ein wenig die Augen. Das Zimmer lag im Grau des ersten fahlen Morgenlichts. Nicht einmal die Hähne hatten schon gekräht, falls es an diesem gottverlassenen Ort solche gab. Evelina zog sich die Decke über den Kopf. Das Klopfen hörte nicht auf.
»Ich habe etwas zu essen für dich«, rief eine Stimme vor der geschlossenen Tür.
»Geh weg, Bruder oder Vater, oder wie immer ihr euch nennt«, schimpfte sie. »Ich habe es gestern schon gesagt. Ich will nichts essen.«
»Du musst etwas essen«, erwiderte die Stimme ernst. »Sonst wirst du krank.«
Das war keiner der wahnsinnigen Mönche. Evelina schlug die Augen auf.
»Nem? Bist du das?«
»Ja«, antwortete er. »Ich habe Brot für dich.«
»Bist du allein?«
»Ja.«
Evelina seufzte. Sie setzte sich auf, rieb die Augen und gähnte. Was machte er denn hier – um diese Zeit? Auf jeden Fall konnte sie es sich nicht leisten, ihn zu verlieren. Sie schlang die Decke um sich und rief in jämmerlichem Ton: »Wo bist du gewesen? Wieso bist du gestern Abend nicht mehr gekommen? Nun bleib doch nicht vor der Tür stehen, komm herein!«
Mit der Schulter stieß er die Tür auf und betrat das Zimmer. Er trug ein zugedecktes Tablett. Über seinem Arm lag ein Bündel.
Für das Tablett hatte Evelina kaum einen Blick übrig. Das Bündel interessierte sie weit mehr.
»Ein
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