Das verbotene Land 2 - Drachensohn
ihren Röcken. Mit einem gehetzten Blick erfasste sie den Raum, der jetzt noch mehr einer Höhle glich. »Das hier ist ein Grab!« Ihre Stimme wurde schrill und hysterisch. »Wir sind lebendig begraben! Eingesperrt!«
Sie begann zu würgen. »Ich kriege keine Luft.«
»Hör auf damit!«, befahl Markus scharf.
Sein Tonfall ließ sie zusammenfahren. Sie schwieg, aber er konnte ihr panisches Atmen hören.
»Komm hierher«, forderte er sie auf. »Stell dich hinter mich. Bleib ganz dicht bei mir und schlag die Hände vors Gesicht.«
»Was hast du denn vor?«, erkundigte sie sich kläglich, während sie sich an ihn schmiegte.
»Ich hole uns hier raus.«
Er stellte sich vor die Rückwand des eingestürzten Hauses. Dann griff er zur Magie, goss sie in Form und schleuderte sie gegen die Mauer.
Damit sprengte er ein Loch in die Wand. Bei der neuerlichen Explosion schrie Evelina auf und vergrub ihr Gesicht an seinem Rücken. Er fühlte ihr Zittern und nahm sie in die Arme.
»Keine Angst. Jetzt können wir hier raus.«
Sie schlug die Augen auf, blinzelte und starrte verwundert auf das klaffende Loch. Dann ging ihr Blick zu ihm.
»Wie …«, setzte sie an.
»Keine Zeit«, wehrte er ab. »Der Drache wartet immer noch da draußen. Er will immer noch unseren Tod.«
Evelina schluckte. Sie verzichtete auf weitere Fragen, schürzte Rock und Unterrock und band sich beides um den Bauch. Dabei warf sie ihm einen Blick zu und brachte sogar einen zaghaften Scherz zustande.
»Das ist jetzt wirklich der falsche Zeitpunkt, meine Beine zu bewundern.«
Markus wurde rot. Er hatte ihre Beine gar nicht bewundert. Jedenfalls nicht bewusst. Er hatte an ihr vorbei durch das Loch geschaut. Dahinter schien eine Gasse zu liegen, in der zahlreiche Häuser lagen, die alle gleich aussahen. In der Mitte der Straße verlief ein Graben. Dem Ekel erregenden Gestank nach, der in den staubigen Raum drang, diente der Graben als Abwasserkanal.
Inzwischen drangen mit dem Sonnenlicht auch Hilferufe ein. Plötzlich wurde Markus klar, dass es in dieser Stadt nicht nur ihn und Evelina gab. Vor lauter Angst vor dem Drachen hatte er die gefährlichen Mönche völlig vergessen.
»Ich bin so weit«, verkündete Evelina.
Geschickt hatte sie ihre Vorbereitungen beendet. Ihre Beine waren bis über die Knie zu sehen. Die Röcke bauschten sich um ihre Taille. Sie hatte schlanke, wohlgeformte Knöchel, hübsche Waden und weiche, weiße Schenkel. Markus rührte sich nicht vom Fleck, sondern lauschte den Stimmen.
»Worauf warten wir?« Evelina schob die Hände zwischen seine Arme und zog an ihm. »Ich will diesen grässlichen Ort verlassen. Bitte, lass uns gehen! Bevor jemand kommt.«
Markus rührte sich noch immer nicht, lauschte weiter. Die Stimmen kamen von irgendwo hinter dem Haus, von der anderen Straßenseite, und sie wurden leiser.
»Jetzt können wir gehen. Sei vorsichtig«, warnte er. »Lass mich vorangehen.«
Die Trümmer unter seinen Füßen kamen gefährlich ins Rutschen. Er musste langsam klettern. Evelina stieg hinter ihm hinaus und nahm seine Hand gerne an. Sie halfen sich gegenseitig. Schließlich waren sie draußen an der Sonne in der frischen Luft. Evelina hob das Gesicht und atmete tief durch.
»Gott sei Dank«, stieß sie aus. Dann musterte sie die Straße. »Und wo gehen wir jetzt hin?«
Gute Frage. Markus dachte nach. Als Drakonas ihn hierher gebracht hatte, war er bewusstlos gewesen. An den Weg erinnerte er sich nicht. Dann fiel ihm ein, dass die Morgensonne durch das Fenster geschienen hatte. Das vordere Fenster hatte also nach Osten gewiesen. Damit zeigte die Rückseite, auf der sie sich nun befanden, nach Westen. Jetzt überlegte er, wo die Stadtmauer und das Tor gewesen waren, durch das er hereingekommen war. Bei der Reise flussabwärts hatte ihm die Sonne auf den Rücken geschienen. Demnach waren sie nach Osten gefahren. Die Stadt lag auf der linken Seite. Im Norden. Das bedeutete, dass die Mauer mit dem Tor im Süden sein musste.
Nun wusste Markus, welche Richtung er einschlagen musste. Doch er brach nicht sofort auf, sondern blickte noch einmal durch das Loch in der Wand und spähte in das verwüstete Haus.
»Was ist denn?«, fragte Evelina ungeduldig. »Worauf wartest du?«
Er wusste es nicht. Ein Schrei. Ein Ruf. Eine Kinderhand, die aus der Dunkelheit nach ihm griff.
»Nichts«, sagte er zu Evelina. »Ich warte auf gar nichts.«
Er nahm ihre Hand und rannte mit ihr die Gasse hinunter.
Als er sicher war, dass sein Bruder
Weitere Kostenlose Bücher