Das verbotene Land 2 - Drachensohn
saß reglos da, bis auf die weit offenen Augen, die ständig staunend aufgerissen hin und her wanderten. An seinen Handgelenken waren Blutergüsse zu sehen. Seine Wärterin musste ihm die Hände binden, um ihn füttern zu können.
Man hielt den Jungen so sauber wie möglich, doch er half in keiner Weise mit. Seine einstige Amme versorgte ihn. Sie wachte unablässig über ihn, wusch ihn, fütterte ihn und gab Acht, dass er sich bei seinen Anfällen nicht verletzte.
»Die Wutanfälle sind in letzter Zeit zurückgegangen«, meinte Edward. »Erst haben wir Gott für diesen Segen gedankt, doch mittlerweile glaube ich, dass dies eher ein schlechtes Zeichen ist. Ich fürchte, er entgleitet uns. Wir können ihn nicht mehr aufhalten.«
»Wann hat dieser Wahnsinn eingesetzt?«, erkundigte sich Drakonas.
Das Wort ließ Edward zusammenzucken. Hilfesuchend blickte er seine Frau an.
»Die ersten fünf Jahre war Markus ein normales Kind, also, fast normal«, erzählte Ermintrude, die nun resolut ihre Tränen abwischte.
»Was meint Ihr mit ›fast normal‹?«
»Mitunter unterbrach er sein Spiel und starrte lange fasziniert ins Leere, als könnte er dort etwas unglaublich Schönes sehen. Dann sagte er: ›Siehst du das nicht, Mutter? Siehst du nicht die Farben? Wie wunderschön sie sind!‹ Wenn ich hinschaute, sah ich nur das Sonnenlicht auf dem Boden oder einen Spatzen auf dem Fenstersims. Ich behauptete, ich sähe sie, um ihm einen Gefallen zu tun. Aber ich glaube, er wusste, dass ich log, denn sein Lächeln verflog. Immer wieder schlüpfte er zwischen der realen Welt und der, die er in seinem Kopf sieht, hin und her. Doch vor einem Monat muss ihm etwas ganz Schreckliches passiert sein.«
»Es war an seinem Geburtstag«, warf Edward ein. »Es sollte so ein fröhlicher Tag werden!«
»Ihr wisst nicht, was geschehen ist?«, erkundigte sich Drakonas in scharfem Ton.
Ermintrude schüttelte den Kopf. »Er begann vor Entsetzen zu schreien, hielt sich den Kopf, riss sich die Haare aus, bis die Kopfhaut zu bluten begann. Dann brach er zusammen und kam stundenlang nicht mehr zu sich. Als er schließlich wieder erwachte, schien er keine Ahnung zu haben, wo er war. Als ob er diese Welt endgültig verlassen hätte.«
»Aber vorher war er glücklich?«
»Ja«, antwortete Ermintrude ein wenig zu schnell. »Markus war immer ein stilles Kind, kein Raufbold wie andere Jungen seines Alters. Die wilden Spiele seiner Brüder hat er abgelehnt. Er zog sich lieber zurück, spielte allein.«
»Was ist mit seinen Brüdern? Wie sind sie mit ihm umgegangen?«
»Er war ihr kleiner Bruder. Sie waren nett zu ihm und haben ihn gut behandelt, aber sie hatten ihre eigenen Interessen«, erzählte Edward. »Sie konnten Markus nicht immer mit sich herumschleppen, und es schien ihn auch wenig zu stören, wenn er nicht einbezogen wurde.«
Drakonas registrierte, dass beide nur in der Vergangenheit von dem Jungen sprachen.
»Die Leute wissen, dass er Euer Bastard ist, Edward«, sagte Drakonas unverblümt. »Haben Erwachsene oder Kinder ihn damit gehänselt?«
Edwards Gesicht verfinsterte sich. Er runzelte die Stirn.
»Nein«, widersprach Ermintrude mit fester Stimme. »Das hätte niemand gewagt.« Sie legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm. »Markus war mein Kind, seit ich ihn das erste Mal gehalten habe. Ich habe ihn wie meine eigenen Kinder geliebt.«
Ihre Stimme bebte. »Ihr tut so, als wäre es unsere Schuld, aber was hätten wir noch tun sollen? Wir begreifen nicht, was in ihm vorgeht. Vielleicht tut Ihr es.«
Erneut spähte Drakonas durch das Eisengitter. Dann drehte er sich um und schüttelte den Kopf. »Verzeiht mir. Ich wollte niemanden beschuldigen. Euch trifft gewiss keine Schuld – Ihr hättet nichts anders machen können. Es ist die Drachenmagie in seinem Blut, die ihn verrückt macht.«
Unsicher sah Edward zu Ermintrude hinüber, als wolle er etwas sagen, hätte jedoch Angst, sie zu verletzen.
Seine Frau lächelte ihn beruhigend an und drückte ihm die Hand. »Sag es ruhig. Es tut mir nicht weh. Besonders, wenn es unserem Sohn helfen kann.«
Edward führte ihre Hand an die Lippen, küsste die Handfläche und hielt sie fest. »Die Mutter des Jungen war nicht wie er, Drakonas. Doch Ihr sagt, die Magie in ihr sei sehr stark gewesen.«
»Drachenmagie äußert sich bei Männern und Frauen unterschiedlich. Glaube ich jedenfalls«, erwiderte Drakonas. »Erinnert Ihr Euch an den falschen Mönch, der uns auf der Straße nach Bramfell
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