Das verbotene Land 2 - Drachensohn
sich, mitzubekommen, was wohl Schlimmes geschehen war. Da Gunderson eine feste, kräftige Stimme hatte und die von Edward tief und volltönend war, waren beide gut zu vernehmen.
»… wird Ärger machen, Majestät.«
»Das ist mir egal, Gunderson«, sagte Edward kurz angebunden. »Ich will ihn nicht sehen. Schickt ihn fort.«
»Das habe ich bereits versucht. Er geht einfach nicht. Er sagte, er würde Tag und Nacht vor den Mauern ausharren, bis Ihr ihn vorlasst. Und er droht, er würde reden«, fügte Gunderson bitter hinzu.
»Dann lasst ihn festnehmen und von Soldaten zur Grenze bringen. Wenn er es wagt, sie noch einmal zu überschreiten, ist er des Todes.«
Jetzt glaubte Ermintrude, alles zu wissen.
»Im Gegenteil, Gunderson«, erklärte sie und rauschte mit trotzig raschelnden Röcken ins Zimmer. »Sagt ihm, dass wir ihn empfangen werden. Bringt ihn hierher, ins Zimmer Seiner Majestät. Oder in meines, wenn Seine Majestät bei seiner Weigerung bleibt.«
Edward runzelte die Stirn. »Meine Liebe, das hier geht dich nichts an.«
»Oh, doch«, widersetzte sich Ermintrude ruhig. »Ihr habt von Drakonas gesprochen, Gunderson, nehme ich an?«
Der Seneschall antwortete nur mit einer unverbindlichen Verneigung, aber Ermintrude brauchte keine Antwort.
»Ich habe dir nicht nachspioniert, Edward, also sieh mich nicht so an. Ich habe es schon in dem Moment erraten, als ich Gunderson kommen sah. Falls du es wissen willst, mein Gemahl«, fuhr die Königin fort, »ich hatte gehofft, dass Drakonas auftaucht.«
»Du bist ja verrückt.« Edward wandte sich ab.
»Ich bin nicht verrückt«, rief Ermintrude mit zitternder Stimme. »Aber ich werde es allmählich. Vielleicht kann er uns helfen, Edward. Das wäre doch möglich!«
Gunderson machte ein finsteres Gesicht. Edward schüttelte nachdrücklich den Kopf und entließ sie mit einer Handbewegung. »Geh zurück zu deinen Frauen, meine Liebe.«
Ermintrude hielt die Stellung. Mit ihren Reifröcken war sie raumfüllend.
»Wir sind es dem Kind schuldig, Edward«, beharrte sie. »Wir müssen herausfinden, ob man irgendetwas tun kann.«
»Und wieso glaubst du, dass Drakonas in dieser Hinsicht mehr weiß als ich – sein Vater?«, begehrte Edward wütend auf.
»Ich bin mir nicht sicher«, stockte Ermintrude. Sie legte eine Hand auf die Brust. »Aber ich spüre es hier, in meinem Herzen. Vielleicht der weibliche Instinkt. Bitte, lass Drakonas vor, Edward. Empfange ihn – und sag ihm die Wahrheit.«
Mit bittend ausgestreckten Händen trat sie auf ihn zu. »Für den Jungen, Edward. Für unseren Sohn.«
Er sah sie an. In ihm loderte immer noch der Zorn. Ermintrude umfasste seine Hände, hielt sie fest und sah ihm in die Augen. Diesem liebevollen Blick konnte sein Ärger, der mehr auf Furcht begründet war, nicht widerstehen. Er senkte den Kopf.
»Du sprichst immer von ›unserem‹ Sohn«, murmelte er mit brüchiger Stimme.
»Das ist er doch, Edward«, flüsterte Ermintrude, über deren Wangen Tränen liefen. »Er ist es und er wird es immer bleiben.«
»Sagt Drakonas, dass wir ihn empfangen werden, Gunderson«, entschied Edward.
Gunderson zögerte. Er missbilligte diesen Entschluss und hätte seinen König gern beschworen, bei seinem ersten Befehl zu bleiben und den »Drachenjäger« in Ketten zur Grenze zu schaffen. Bittend sah er seinen Herrn an, den er mehr liebte als einen Sohn und der für ihn viel mehr war als ein König.
Vor sechs Jahren war Edward ein junger König Anfang Dreißig gewesen – offen, ernsthaft, gut aussehend, mit braunen Augen und einem gewinnenden Lächeln. Dann war Drakonas in sein Leben getreten, hatte ihn in ein fremdes Reich und ein entsetzliches Abenteuer gelockt, aus dem ein Sohn hervorgegangen war.
Jetzt sah Gunderson Edward unter der Last dieses furchtbaren Geheimnisses taumeln. Und er erkannte, dass diese Bürde seinen König zermalmen würde, wenn nicht bald etwas geschah. Edward würde stürzen und mit ihm das Königreich.
Kopfschüttelnd hielt er auf die Tür zu.
»Gunderson«, rief Ermintrude.
»Majestät?« Er drehte sich um.
»Bringt Drakonas nicht hierher«, wies sie ihn an. »Bringt ihn in das Zimmer.«
Gunderson warf seinem König einen Blick zu.
Edward schloss die Augen. Schmerz malte sich auf seinem Gesicht. Schließlich formten seine Lippen tonlos die Worte: »Tut es.«
»Ja, Majestät.«
Mit einem tiefen Seufzer ging Gunderson fort, um den Befehl seines Königs zu befolgen. Sein Herz drohte überzulaufen.
9
Seine
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