Das verbotene Land 2 - Drachensohn
eintauchte und verschwand.
Evelina traf erst im sanften Blau der anbrechenden Nacht ein. Nem entdeckte sie, sobald sie den Platz betrat, und konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Sie bewegte sich mit der Grazie einer biegsamen Weide. Der Abendwind, in dem der Duft der letzten Rosen hing, zauste die wenigen Locken, die dem sittsam drapierten Schleier entwischt waren. Sie schien ihn weniger leicht auszumachen, doch als sie ihn schließlich gefunden hatte, lächelte sie ihm zu.
Er begrüßte sie mit verlegener Zurückhaltung, denn er hatte von nichts anderem mehr geträumt als von dieser Zusammenkunft.
Evelina wirkte peinlich berührt und errötete. Zu schüchtern, ihm ins Gesicht zu sehen, blinzelte sie nur unter bescheiden niedergeschlagenen Lidern hervor. Sie war der Inbegriff der unschuldigen Jungfrau – obwohl sie dies nie gewesen war.
Für dieses Mädchen barg das Leben keinerlei Geheimnisse. Als Kind hatte sie im Zimmer ihres Vaters geschlafen und jede Begleitung mitbekommen, die zufällig gerade da war. Das Stöhnen und Keuchen hatte sie in den Schlaf gewiegt. Doch auch wenn Evelina selbst kein Unschuldsengel war, so hatte sie doch Unschuld erlebt. Sie besaß eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe, angeborenes Schauspieltalent und den sicheren Instinkt, alles zu tun, um dem zu gefallen, der ihr das Überleben sicherte.
So hatte Evelina auch die Unschuld in Nem erkannt. Vom ersten Augenblick an, seit dem ersten Zittern seines starken Körpers bei ihrer Berührung, hatte sie genau gewusst, welche Art Mädchen sie darstellen musste. Sie genoss ihre Rolle und ihre Macht über ihn. Es machte ihr Spaß, obwohl sie mit dem Plan nach wie vor nicht glücklich war. Nem sah tatsächlich so ansprechend aus, wie ihr Vater versprochen hatte. Es fiel ihr schwer, das Monster in ihm zu sehen, von dem er geredet hatte. Da Evelina ihrem Vater nicht über den Weg traute, fragte sie sich allmählich, ob Ramone wohl sein eigenes Rauschmittel getrunken hatte.
»Na, lieber Papa«, murmelte sie in sich hinein, »dann sehen wir ganz schön dumm aus! Ich hoffe, Federfuß prügelt dich dafür windelweich. Wenn er es nicht tut, mache ich das!«
Allerdings hatte Nem wirklich eine seltsame Art zu laufen. Diese Eigenart fiel Evelina auf, als sie die Plaza verließen. Er bewegte sich federnd wie ein Tier und hatte etwas Animalisches an sich, das sie durchaus anziehend fand. Beim Gehen musterte sie ihn heimlich. Sie erinnerte sich, wie ihre Hand auf seinem Arm gelegen hatte und wie sich die Bewegung der harten Muskeln unter der sonnengebräunten Haut angefühlt hatte. Nem war anders als andere Männer. Er roch nach Leder und Holzrauch, nicht nach Schmutz und billigem Bier. Obwohl er sichtlich vom Lande kam, verhielt er sich mehr wie ein Edelmann als jeder der so genannten »Herren« in den Kneipen, die ihr an den Busen griffen und versuchten, ihre Hände unter ihren Rock zu schieben. Evelina stellte sich vor, wie Nems Hände ihren Rock hoben. Ihr Herz pochte schneller. Für diesen Mann die zimperliche Jungfrau zu spielen, ließ sich schwieriger an als erwartet.
»Ich habe uns etwas zu essen mitgebracht«, begann sie und schlug das Tuch über dem Korb an ihrem Arm zurück. Er enthielt ein paar Stücke Fleisch, Brot und einen Krug Wein. »Ich dachte, du hättest vielleicht Hunger.«
Nem hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Er war viel zu hingerissen gewesen, um an etwas so Weltliches zu denken. Beim Anblick des Weins runzelte er die Stirn.
»Nur keine Sorge«, versicherte Evelina hastig. »Dir ist gestern Abend nicht vom Bier so übel geworden. Mein Vater hat eine Droge hineingetan. Der Wein ist gut, außer«, sie errötete beschämt, »außer du traust mir nicht.«
»Nichts liegt mir ferner«, gab Nem sanft zurück.
»Gut.« Evelina belohnte ihn mit einem Lächeln. »Wir teilen uns den Wein, dann weißt du, dass er harmlos ist.«
Als die beiden schließlich die Stadt verließen und auf die Landstraße traten, war die Nacht hereingebrochen. Doch der Mond war nahezu voll und machte die Nacht taghell. Unterwegs fiel Nem plötzlich ein, dass Bellona ihn zur üblichen Zeit im Zelt erwartete. Er war noch nie einfach ausgeblieben, und nun machte es ihm zu schaffen. Sie würde sehr wütend werden.
Er sah zu Evelina, deren Haar im Mondlicht einen silbernen Schimmer annahm, und bemerkte, dass auch sie ihm einen heimlichen Blick zuwarf. Ihm kam der willkommene Gedanke, dass Bellona sich schließlich nicht beschweren konnte, wenn er
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