Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
allerdings eine Enttäuschung, denn Evelina bekam nicht die erwarteten Pfauenzungen, sondern schlichten Rinderbraten.
»Und jetzt möchte ich mich im Palast umsehen«, meinte das Mädchen schließlich.
»Das ist absolut unmöglich, junge Dame«, erklärte die axtgesichtige Frau mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. »Ihre Majestät wird Euch einen Besuch abstatten. Ihr müsst hier warten.«
Evelina war entzückt. Die Königin würde sie besuchen kommen. Also setzte sie sich hin und wartete.
Sie wartete.
Und wartete.
Die Frau mit dem harten Gesicht saß eisern schweigend dabei und klöppelte Spitzen. Evelina kam es würdelos vor, sich mit einer Dienstbotin zu unterhalten. Also schwieg auch sie. Eine Zeit lang bewunderte sie ihre neuen Kleider und die neuen Schuhe, aber auch das war nicht endlos durchzuhalten.
Mit der Zeit wandelte sich ihr Entzücken in Langeweile und die Langeweile in Ärger. Dann hörte sie ferne Geräusche – Musik! Irgendwo wurde gefeiert und getanzt. Gerade als sie überlegte, ob sie sich Axtgesicht widersetzen und einfach losgehen und Markus suchen sollte, hörte sie vor der Tür Schritte und Seidengeraschel. Ihr stieg der Duft von Frühlingsrosen in die Nase. Axtgesicht erhob sich.
Evelina versuchte, ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Von diesem einen Moment hing ihre Zukunft ab.
Die Königin kam allein. Sie machte die Tür auf, trat ein und sagte etwas zu der Frau, die nach einem tiefen Knicks verschwand. Danach schloss die Königin die Tür. Sie sah sich im Zimmer um, als wolle sie sich vergewissern, dass alles einwandfrei war, ehe sie sich Evelina zuwandte.
»Nun, junge Dame«, sagte die Königin mit einem herzlichen Lächeln, »habt Ihr Euch schon eingelebt?«
Evelina machte einen ungelenken Knicks, wie die Dienerin es ihr gezeigt hatte. Beinahe hätte sie sich danach wieder hingesetzt, doch ihr fiel gerade noch ein, dass sie auch gewarnt worden war: Niemand setzte sich in Gegenwart Ihrer Majestät. Darum blieb Evelina stehen, senkte den Kopf und musterte die Königin intensiv unter ihren Lidern hervor.
Für Evelina waren ihre Geschlechtsgenossinnen stets schwache, dumme Geschöpfe gewesen. Die Königin bildete da keine Ausnahme. In den Augen des Mädchens war sie eine dickliche, vollgestopfte Frau mittleren Alters im Glanz ihrer Juwelen – verwöhnt, beschützt und einfältig. Es bestand überhaupt kein Zweifel daran, wer aus dieser Begegnung als Sieger hervorgehen würde.
»Ja, Majestät«, antwortete Evelina mit einem weiteren Knicks. Sie setzte zu ihrer Rede an. »Eine solche Ehre hatte ich nicht erwartet. Ich bin keine feine Dame, Madame, wisst Ihr – auch wenn man mich oft dafür hält. Aber ich bin ein braves Mädchen. Mein armer Vater, möge seine Seele in Frieden ruhen, hat mich gottesfürchtig erzogen. Wenn ich gefehlt habe, dann nur aus Liebe. Ich liebe Euren Sohn von ganzem Herzen, Madame.«
An dieser Stelle schluchzte Evelina kurz auf und wischte sich die Augen.
»Ja, gewiss liebt Ihr meinen Sohn«, sagte die Königin. »Er ist ein Prinz. Er sieht gut aus, er ist reich, und er hat Euch aus einer schrecklichen Lage gerettet. Das reicht ja wohl, um jedem Mädchen den Kopf zu verdrehen.«
»Und er liebt mich, Madame«, wagte Evelina kühn zu versichern.
»Ihr seid ein hübsches Kind. Zweifellos hat er sich eingebildet, in Euch verliebt zu sein«, meinte die Königin nachsichtig. »Und nun glaubt Ihr, sein Kind zu tragen?«
»Ich halte es für wahrscheinlich, Madame«, nickte Evelina. Sie legte eine Hand auf ihren flachen Bauch. »In den letzten Tagen war mir leicht übel.«
Die Grübchen der Königin vertieften sich, dann verschwanden sie. Evelina wurde langsam nervös.
»Ich weiß, dass wir nur einmal zusammen waren«, verteidigte sie sich. Anfangs hatte sie überlegt, ob sie an dieser Stelle lügen sollte, sich jedoch dagegen entschieden. »Aber ein Mädchen spürt so etwas, Madame.« Sie ließ eine Träne über ihre Wange laufen.
»Nun gut, wir werden sehen«, erklärte die Königin. »Seid versichert, junge Dame, dass ich meinen Sohn keineswegs in Schutz nehme. Er hat sich nicht wie ein Edelmann verhalten. Doch ihr seid beide jung und seid unter ganz besonderen Umständen aufeinandergetroffen. Ich kann mir also lebhaft vorstellen, wie es dazu gekommen ist. Ihr müsst jedoch begreifen, Fräulein Evelina, dass eine Hochzeit mit meinem Sohn unmöglich ist.«
»Das ist mir nicht klar, Madame«, wehrte sich Evelina tapfer. »Euer Sohn liebt
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