Das verbotene Tal
Spielzeugregal, stand doch etwas... ja, sein kostbarster
Besitz: ein maßstabgetreues Modell des Schlachtflugzeuges, das sein Vater im
Koreakrieg geflogen hatte. Manchen Abend hatte Paul dafür geopfert, es selbst
zu basteln. Timmy kletterte auf einen Schemel und holte das Flugzeug vorsichtig
herunter. Es war ein bißchen staubig, aber das war weiter nicht schlimm. Dad
hatte tolle Dinge von seinem großen Flugzeug erzählt, und Timmy erinnerte sich
vor allem noch, wie er gesagt hatte:
„So ein Kampfflugzeug kostet fast eine
Million Dollar!“
Ja, wenn ein großes Flugzeug eine
Million kostete, dann mußte ein kleines doch auch allerlei wert sein.
Vielleicht fand Timmy jemanden, der es haben wollte. Gern trennte er selbst
sich gewiß nicht davon, aber etwas anderes hatte er nun einmal nicht!
Onkel Petrie arbeitete noch im Stall,
als Timmy auf den Hof schlich, einen in ein Handtuch gewickelten Gegenstand
unter dem Arm. Ganz leise holte der Junge sein Fahrrad hervor und fuhr eilig
zur Stadt. Lassie rannte hinter ihm drein.
Sam Moss war nicht wenig erstaunt, als
Timmy mit einem geheimnisvollen Gegenstand in seinen Laden trat.
„Ich komme sofort, Timmy!“ rief er.
Eben erst war Ruth Martin bei ihm gewesen; und sicherlich hatte sie ihrem
Jungen nun ein paar Pennies für Süßigkeiten gegeben.
„Was soll’s denn sein, Junge?
Sahnebonbons oder Kaugummi?“
Timmy schüttelte verzichtend den Kopf. „Ich
will nichts kaufen“, sagte er. „Ich möchte vielmehr etwas verkaufen!“
„Verkaufen?“ Sam lächelte. Hatte der
Junge da vielleicht ein paar welke Waldblumen unter dem Handtuch oder einige
Walnüsse?
Aber als dann das Flugzeug zum
Vorschein kam, da war der Kaufmann doch verblüfft — und erschreckt. Paul Martin
hatte damals bei ihm ein paar Sachen erworben, die man fürs Basteln brauchte,
und deshalb wußte Sam, wie sehr Timmy an dem Flugzeug hing.
Und nun stand er da und bot es zum
Verkauf an!
„Wieviel könnten Sie mir dafür geben?“
fragte er.
„Hm, da muß ich erst einmal überlegen!“
Sam zupfte sich am Ohrläppchen und hielt den Kopf schief. Dann zwinkerte er.
„Was würdest du zu... hm…
fünfzigtausend sagen?“
Timmy dachte angestrengt nach. „Ist das
viel Geld?“ fragte er unsicher. „Ich brauche nämlich sehr viel!“
Sam lachte. „Wer das hätte, wäre ein
reicher Mann!“
Timmy strahlte. „Sie meinen, ein
solcher Mann brauchte seine Farm nicht aufzugeben und in die Stadt
zurückzugehen?“
„Die… die Farm aufgeben?“ wiederholte
Sam Moss überrascht. „N-nein, das brauchte er gewiß nicht!“
Nun wünschte er, keinen so dummen
Scherz gemacht zu haben. Aber er hatte doch keine Ahnung gehabt, daß Martins
sich in so einer verzweifelten Lage befanden. Gewiß, nachträglich fiel ihm auf,
daß Ruth Martin nur wenig gekauft und vor allem den Anzug für Timmy, von dem
sie seit Wochen sprach, nicht genommen hatte. Also stand es anscheinend
wirklich schlecht um sie.
„Abgemacht!“ nickte Timmy ernst. Aber
trotz aller Tapferkeit mußte er doch sein herrliches Flugzeug wehmütig noch ein
bißchen streicheln.
„Ehrlich gesagt“, wich Sam
entschuldigend aus, „habe ich augenblicklich nicht so viel in der Kasse. Wie
wäre es denn mit fünf Silberdollar — als Anzahlung?“
„Gut!“ Timmy runzelte die Stirn. „Einverstanden.
Das ist doch auch schon allerlei Geld, nicht wahr?“
„Ich kenne Leute, die das einen ganzen
Batzen nennen würden“, bekräftigte Sam. Dann holte er die fünf Silberstücke aus
der Registrierkasse, kam um den Ladentisch und steckte sie Timmy in die
Hemdtasche. „Da, mein Junge!“ sagte er. „Warte noch eine Sekunde!“ Mit einer
Sicherheitsnadel verschloß er Timmys Tasche. „So, nun fallen sie dir nicht
heraus!“
„Vielen Dank, Herr Moss!“ nickte der
Junge zufrieden. „Komm, Lassie, wir müssen uns beeilen!“ Damit ging er zur Tür.
Ehe er aber den Laden verließ, blickte
er sich noch einmal nach seinem herrlichen Flugzeug um. Dann rannte er davon
und fuhr etwas unsicher auf seinem Rad los. Lassie lief nebenher.
Vorsichtig barg Sam Moss das Flugzeug
wieder unter dem Handtuch, brachte es unter dem Ladentisch in Sicherheit und
wandte sich dem Kunden zu, der soeben hereingekommen war.
Aber damit war der Fall für ihn nicht
erledigt. Heute abend wollte er Paul Martin anrufen und ihn tüchtig
ausschimpfen: Wie konnte er nur so querköpfig sein, in Zeiten der Not nicht zu
seinem Freund zu kommen und sich Hilfe zu holen?
Über eine
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