Das Verbrechen von Orcival
Bürgermeisters über das Ehepaar Trémorel nicht, Monsieur?« fragte er.
Vater Plantat zuckte mit den Schultern.
»Ich habe keine Meinung«, sagte er, »ich lebe allein, ich besuche niemand, was geht mich das alles an. Dennoch...«
»Mir scheint«, meldete sich Monsieur Courtois wieder zu Wort, »daà kein Mensch besser als ich die Geschichte der Leute kenne, die meine Freunde waren.«
»Trotzdem erzählen Sie diese Geschichte schlecht«, bemerkte Plantat trocken.
Und da ihn der Untersuchungsrichter drängte, sich zu erklären, ergriff er ohne viel Getue das Wort, sehr zum Leidwesen des Bürgermeisters, der sich in den Hintergrund gedrängt sah, und erzählte in groÃen Zügen die Biographie des Comte und der Comtesse.
»Die Comtesse de Trémorel, geborene Berthe Lechaillu, war die Tochter eines armen Dorfschulmeisters. Mit achtzehn war sie für ihre Schönheit in der ganzen Gegend berühmt, aber da sie nur ihre groÃen blauen Augen und wunderbare blonde Haare als Mitgift besaÃ, stellten sich die Verliebten, das heiÃt die Verliebten mit ernsten Absichten, nicht ein.
Schon fand sich Berthe damit ab, Lehrerin zu werden â ein trauriges Los für ein so schönes Mädchen â, als der Erbe einer der reichsten Domänen in der Gegend sie sah und sich in sie verliebte.
Clément Sauvresy war gerade dreiÃig geworden; er hatte keine Familie mehr und besaà an die hunderttausend Pfund Grundbesitz, der in schönen, fruchtbaren und völlig hypothekfreien Böden steckte. Er zögerte nicht. Er hielt um Berthes Hand an, erhielt sie, und einen Monat später heiratete er sie zur gröÃten Entrüstung aller reichen Leute der Gegend, die meinten:
âºWas für eine Dummheit! Wozu ist man denn reich, wenn man durch eine gute Partie sein Vermögen nicht verdoppelt!â¹
Etwa einen Monat vor der Hochzeit hatte Sauvresy das Schloà Valfeuillu in Orcival, das zu seinem Grundbesitz gehörte, renovieren lassen. In diesem schönen Anwesen gedachten die Neuvermählten ihre Flitterwochen zu verbringen. Es gefiel ihnen hier so gut, daà sie sich gänzlich in Valfeuillu niederlieÃen, zur groÃen Genugtuung all jener, die Beziehungen zu ihnen unterhielten. Sie behielten allein eine Wohnung in Paris.
Berthe gehörte zu diesen Frauen, die extra geboren werden, so scheint es, um Millionäre zu heiraten. Ohne Schwierigkeiten wechselte sie von dem elenden Schulhaus in den groÃartigen Salon von Valfeuillu. Und als sie erst in ihrem Schloà die Aristokratie der Umgebung empfing, war es so, als habe sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan. Sie verstand es dabei, schlicht, bescheiden und einnehmend zu bleiben. Man liebte sie.«
»Nun, mir scheint, ich habe nichts anderes gesagt«, fiel hier der Bürgermeister ein, »was soll das also...«
Ein Wink des Untersuchungsrichters hieà ihn schweigen, und Vater Plantat fuhr fort:
»Genauso liebte man Sauvresy, einen Mann mit goldenem Herzen, der nicht einmal den Verdacht aufkommen lieÃ, daà er Böses im Schilde führen könnte. Er war einer von diesen Männern, die geradezu sind und sowohl an die Freundschaft ihrer Freunde wie an die Liebe ihrer Geliebten glauben. Das junge Paar hatte alle Voraussetzungen, um glücklich zu sein, und das wurde es auch. Berthe bewunderte ihren Mann, der ihr seine Hand angeboten hatte, bevor er ihr zu sagen wagte, daà er sie liebe. Und Sauvresy machte aus seiner Liebe für sie einen Kult, der für manche schon ans Lächerliche grenzen mochte. Ãbrigens lebte man auf groÃem Fuà in Schloà Valfeuillu und gab glänzende Empfänge. Im Herbst waren die zahlreichen Gästezimmer immer belegt, und in den Remisen standen prächtige Kutschen.
Sauvresy war zwei Jahre verheiratet, als er eines Abends einen alten Freund mitbrachte, einen ehemaligen Schulkameraden, von dem er schon oft erzählt hatte, den Comte Hector de Trémorel. Dieser wolle sich ein paar Wochen in Valfeuillu aufhalten, kündigte er an, aber aus den Wochen wurden Monate. Der Besuch blieb.
Man war darüber nicht weiter erstaunt. Hector hatte eine mehr als stürmische Jugend voller Ausschweifungen, Duellen, Wetten, Liebschaften hinter sich. Mit vollen Händen hatte er ein kolossales Vermögen verschleudert. Das relativ ruhige Leben auf Valfeuillu muÃte ihn verführt haben. Anfangs bekam er oft zu hören:
Weitere Kostenlose Bücher