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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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›Sie werden bald vom Land genug haben!‹ Er lächelte wortlos dazu. Man mutmaßte – und völlig zu Recht –, daß er, der für die Reichen arm sein mußte, wenig Neigung verspürte, weiterhin unter denen zu leben, die einst von seiner Großzügigkeit profitiert hatten.
    Er ging nur selten aus, wenn überhaupt, dann nur, um zu Fuß nach Corbeil zu laufen. Dort kehrte er im Hotel Belle Image ein, dem besten Haus am Platze, und traf sich dort – ganz zufällig – mit einer jungen Dame aus Paris. Sie verbrachten den Nachmittag gemeinsam und trennten sich zur Abfahrtszeit des letzten Zuges.«
    Â»Donnerwetter!« sagte der Bürgermeister. »Für einen Mann, der allein lebt, der niemanden empfängt, der sich um nichts auf der Welt um die Angelegenheiten anderer kümmert, scheint mir unser Friedensrichter außerordentlich gut unterrrichtet zu sein!«
    Ganz ohne Frage war Monsieur Courtois eifersüchtig. Was! Er, der erste Mann im Ort, hatte von diesen Treffs nichts gewußt! Seine schlechte Laune verschlechterte sich noch mehr, als Doktor Gendron meinte:
    Â»Pah! In Corbeil haben doch die Leute von nichts anderem getratscht.«
    Vater Plantat verzog den Mund, als wolle er sagen: Ich weiß noch ganz andere Dinge; doch fuhr er unbeeindruckt fort:
    Â»Die Anwesenheit des Comte Hector de Trémorel änderte absolut nichts am Verhalten der Schloßbewohner. Madame und Monsieur Sauvresy hatten einen Bruder, das war alles. Wenn Sauvresy um diese Zeit häufiger nach Paris fuhr, so nur, um sich um die geschäftlichen Angelegenheiten seines Freundes zu kümmern. Das wußte jeder im Ort.
    Dieses entzückende Nebeneinander dauerte ein Jahr. Unter den schattenspendenden Bäumen von Valfeuillu schien das Glück seine Heimstatt zu haben.
    Aber da passierte es! Eines Abends, nachdem Sauvresy von der Entenjagd nach Hause kam, fühlte er sich nicht wohl und mußte das Bett hüten. Man schickte nach einem Arzt, und dieser Arzt war kein anderer als unser Freund Doktor Gendron! Eine Lungenentzündung deutete sich an. Sauvresy war jung und robust wie eine Eiche, man machte sich keine Sorge um ihn. Vierzehn Tage darauf war er auch schon wieder auf den Beinen. Aber das war offensichtlich zu früh, denn er hatte einen Rückfall. Also begab er sich wieder zu Bett. Doch nach einer Woche hatte er einen neuerlichen Rückfall, der diesmal so besorgniserregend war, daß man um sein Leben fürchten mußte.
    Während der langen Krankheit kannten Berthes Liebe und Trémorels Fürsorge für Sauvresy keine Grenzen. Selten wurde ein Kranker mit soviel Aufmerksamkeit gepflegt. Abwechselnd saßen seine Frau oder sein Freund am Kopfende des Bettes, sei es nun tags oder nachts. Er mochte leiden, aber langweilen tat er sich nicht. Allen Besuchern versicherte er, daß er allein durch ihren Beistand sein Leiden ertrug. Zu mir sagte er einmal: ›Wäre ich nicht krank geworden, hätte ich nie gespürt, wie sehr ich geliebt werde.‹«
    Â»Dieselben Worte hat er auch mir hundertmal wiederholt«, fiel da der Bürgermeister ein, »er hat sie auch Madame Courtois, meiner Gattin, und Laurence, meiner ältesten Tochter, gegenüber fallenlassen.«
    Â»Natürlich«, fuhr Vater Plantat fort. »Aber Sauvresys Leiden war solcherart, daß dagegen das Wissen der Ärzte und die sorgsamste Pflege machtlos waren. Er leide nicht, versicherte er immer wieder, aber er verfiel zusehends, so daß er bald nur noch ein Schatten seiner selbst war. Schließlich starb er eines Nachts zwischen zwei oder drei Uhr in den Armen seiner Frau und seines Freundes.
    Bis zuletzt war er vollkommen Herr seiner Sinne. Etwa eine Stunde vor seinem Tod ließ er alle Diener um sich versammeln. Als sie sein Bett umstanden, ergriff er die Hand seiner Frau, legte sie in die seines Freundes und ließ beide schwören, einander zu heiraten, wenn er nicht mehr sein würde. Berthe und Hector erhoben laut Einspruch, aber er wollte eine Weigerung nicht anerkennen, bat sie, beschwor sie, versicherte ihnen, daß ihr Widerstand nur seinen inneren Frieden zerstören würde.
    Dieser Gedanke der Ehe zwischen seiner Witwe und seinem Freund scheint ihn am Ende seines Lebens überaus beschäftigt zu haben. In seinem Testament, das er am Abend vor seinem Tode Maître Bury, dem Notar von Orcival, diktiert hatte, legte er förmlich fest, daß

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