Das Verbrechen von Orcival
Betörungen eines Schwindlers aufgesessen, erinnern Sie sich daran, wenn Sie reich sind, daà es arme, ehrbare Mädchen gibt, die gezwungen sind, sich für ein Stück Brot zu verkaufen. Denken Sie an diese Armseligen, tun Sie etwas für sie, und deren Ehre wird die Ihre sein.«
Während er sprach, beobachtete Monsieur Lecoq Laurence, und er bemerkte, daà seine Worte sie erreichten. Dennoch blickten ihre Augen starr und hatten ein beunruhigendes Flimmern.
»Ãbrigens«, fuhr er fort, »Ihr Leben gehört nicht mehr nur Ihnen allein, Sie sind Mutter.«
»Ha!« ereiferte sie sich. »Gerade für mein Kind will ich ja sterben, denn ich will nicht vor Schande vergehen, wenn es mich fragt, wer sein Monsieur war...«
»Sie werden ihm antworten, Madame, er war ein ehrlicher Mann, ein alter Freund, denn Vater Plantat ist nur zu bereit, ihm seinen Namen zu geben.«
Der Friedensrichter wuÃte nicht, wie ihm geschah, aber er hatte noch soviel Geistesgegenwart, um zu stammeln: »Laurence, mein geliebtes Mädchen, ich beschwöre Sie, willigen Sie ein...«
Diese schlichten Worte erreichten sie endlich. Sie brach in Tränen aus. Sie war gerettet.
Monsieur Lecoq beeilte sich, Laurence einen Schal um die Schultern zu legen, den er auf dem Sofa entdeckt hatte. Er schob ihren Arm unter den Vater Plantats.
»Gehen Sie«, sagte er zu dem Friedensrichter, »bringen Sie sie von hier weg, meine Männer haben Anweisung, Sie passieren zu lassen. Pâlot fährt sie mit der Kutsche nach Orcival. Monsieur Courtois ist von mir benachrichtigt worden, daà seine Tochter lebt. Er erwartet Sie. Leben Sie wohl!« Allein geblieben und dem Gepolter der davonrollenden Kutsche lauschend, beugte sich der Detektiv über den Leichnam Trémorels. Sieh an, sieh an, sagte er sich, da habe ich also einen Verbrecher umbringen lassen, anstatt ihn der Justiz zu überantworten. Durfte ich das? Nein. Aber mein Gewissen rührt sich nicht, also habe ich wohl recht getan. Und die Treppe herabsteigend, rief er seine Männer.
* * *
A m Tage nach Trémorels Tod wurden das Tönnchen und Guespin auf freien Fuà gesetzt. Ersterer erhielt viertausend Francs, um sich ein Boot und ein Wurfnetz mit vorschriftsmäÃiger Maschenbreite zu kaufen; letzterer zehntausend Francs und das Versprechen, in Jahresfrist noch einmal soviel zu erhalten, wenn er sich als Gärtner in seiner Gegend niederlassen würde.
Vierzehn Tage später heiratete zum groÃen Erstaunen aller Neugierigen von Orcival Vater Plantat Mademoiselle Courtois. Noch am selben Abend reisten die Neuvermählten nach Italien, wo sie mindestens ein Jahr zu bleiben gedachten. Was Monsieur Courtois angeht, so hat er eben seine schöne Domäne in Orcival verkauft und trägt sich mit dem Gedanken, sich im Süden niederzulassen. Aber noch ist er auf der Suche nach einer Gemeinde, die einen guten Bürgermeister nötig hat.
Wie jedermann hätte auch Monsieur Lecoq die Affäre, die sich auf Valfeuillu abgespielt hatte und die auch in der Ãffentlichkeit mehr für Gerüchte als für GewiÃheit sorgte, vergessen, wenn nicht am Tag nach der Abreise des Ehepaars Plantat ein Notar bei ihm erschienen wäre, der ihm einen Brief von Laurence und einen Packen abgestempelter und gesiegelter Papiere des Friedensrichters ausgehändigt hätte. Diese Papiere waren nichts anderes als die Ãberschreibung des hübschen Hauses von Vater Plantat in Orcival »nebst Möbeln, Einrichtung, Stallungen, Schuppen, Garten, Nebengebäuden« und einigen Morgen Land in der Umgebung. »O Wunder!« rief Monsieur Lecoq aus. »Ich habe keinem Undankbaren eine Gefälligkeit erwiesen! Sollten die Fälle knapp werden, genieÃe ich mein Eigentum.«
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Monsieur Lecoq
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