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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Erleichterung. Nur aus diesem Grunde wagt niemand, die Initiative zu ergreifen, sich eindeutig zu äußern, jeder erwartet die Ansicht des anderen, um sie entweder zu befürworten oder zu bekritteln. Die Gesprächspartner tauschen deshalb weniger Versicherungen als Vorschläge aus. Man kommt durch Andeutungen weiter. So muß man auch die banalen Sätze, die fast lächerlich anmutenden Verdächtigungen, die beiseite gesprochenen Bemerkungen deuten, die eher einer Provokation als einer Erläuterung gleichkommen. So gesehen ist es beinahe unmöglich, die exakte und reale Physiognomie einer schwierigen Untersuchung wiederzugeben.
    In unserem Fall waren der Untersuchungsrichter und Vater Plantat weit davon entfernt, einer Meinung zu sein. Das wußten sie, ohne es zu sagen. Monsieur Domini, dessen Meinung auf greifbaren Fakten, auf schlüssigen Umständen basierte, zeigte wenig Neigung, sich auf eine Diskussion einzulassen, die Widerspruch herausgefordert hätte. Wozu sollte das schließlich gut sein?
    Andererseits konnte sich Vater Plantat, dessen System einzig auf Eindrücken, auf einer Reihe mehr oder weniger logischer Deduktionen zu beruhen schien, nicht klar äußern, ohne dazu aufgefordert zu sein.
    Sein letzter Satz, so fühlte er, war möglicherweise etwas zu weit gegangen, hatte möglicherweise mehr enthüllt, als ihm lieb sein konnte, deshalb zog er es vor, um die Diskussion nicht in solch eine Richtung zu drängen, sich an den Abgesandten der Polizeipräfektur zu wenden.
    Â»Na, Monsieur Lecoq?« fragte er. »Haben Sie neue Indizien entdeckt?«
    Monsieur Lecoq besah sich in diesem Augenblick mit geradezu penetranter Eindringlichkeit ein Porträt des Comte de Trémorel, das über dem Bett hing. Auf die Frage Vater Plantats drehte er sich um.
    Â»Ich habe nichts von Belang gefunden«, antwortete er, »aber ich habe auch nichts gefunden, daß meine Vermutungen über den Haufen werfen würde. Allerdings...«
    Er beendete den Satz nicht, vielleicht schreckte auch er vor seinem Anteil an Verantwortung zurück.
    Â»Was?« drängte ihn Monsieur Domini.
    Â»Ich wollte sagen«, meinte der Polizeibeamte, »daß ich mir noch nicht ganz schlüssig bin. Ich habe zwar die Laterne, sogar eine Kerze für die Laterne, aber kein Streichholz...«
    Â»Seien Sie ernst, ich bitte Sie«, sagte der Untersuchungsrichter streng.
    Â»O gewiß«, erwiderte Monsieur Lecoq mit einem zu ergebenen Gesichtsausdruck und einer zu beflissenen Stimme, als daß sie nicht gespielt wäre, »ich zögere noch. Ich brauche Hilfe. Wenn sich zum Beispiel der Herr Doktor die Mühe machte, den Leichnam der Comtesse zu untersuchen, würde er mir einen unschätzbaren Dienst erweisen.«
    Â»Genau diese Bitte wollte ich gerade äußern, mein lieber Herr Doktor«, sagte Monsieur Domini zu Monsieur Gendron.
    Â»Gern«, entgegnete der alte Arzt und wandte sich sofort zur Treppe.
    Monsieur Lecoq hielt ihn am Arm zurück.
    Â»Ich erlaube mir«, bemerkte er in einem Tonfall, der in nichts an den erinnerte, den er bis jetzt gehabt hatte, »ich erlaube mir«, wiederholte er noch einmal, während sie nebeneinander die Treppe hinabgingen, »die Aufmerksamkeit des Herrn Doktor auf die Verletzungen zu richten, die Madame de Trémorel durch einen stumpfen Gegenstand, wahrscheinlich einen Hammer, am Hinterkopf beigebracht worden sind. Ich habe diese Verletzungen untersucht, und sie schienen mir verdächtig, aber ich bin kein Arzt.«
    Â»Auch mir«, sagte Vater Plantat, der hinter ihnen ging, lebhaft, »kam es so vor, als sei das Blut nicht aus den Schnitt-und Stichverletzungen ausgetreten.«
    Â»Die Art dieser Verletzungen«, sagte Monsieur Lecoq wieder, »wäre ein wertvolles Indiz, das mich nicht länger zweifeln lassen würde.«
    Und als ob ihm noch die Zurechtweisung des Untersuchungsrichters auf der Seele läge, fügte er so laut, daß es auch der Untersuchungsrichter hören mußte, hinzu:
    Â»Sie halten gewissermaßen das Streichholz in der Hand, Herr Doktor.«
    Sie waren am Fuß der Treppe angekommen, und Monsieur Gendron wollte sich zum Billardzimmer begeben, als Baptiste, der Dienstbote des Herrn Bürgermeisters, den Flur betrat. Er grüßte umständlich und sagte:
    Â»Ich möchte den Herrn Bürgermeister holen.«
    Â»Mich?« fragte Monsieur Courtois mechanisch

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