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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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zurück. »Weshalb denn? Was gibt es überhaupt? Kann man mich keine Minute in Ruhe lassen. Sag, daß ich beschäftigt bin.«
    Â»Es ist wegen Madame, daß wir gedacht haben, Monsieur zu stören«, antwortete der Diener, der nie ausgeschimpft wurde. »Madame geht es überhaupt nicht gut!«
    Der würdevolle Bürgermeister erbleichte.
    Â»Meine Frau!« schrie er ernsthaft besorgt. »Was willst du damit sagen. Red schon!«
    Â»Na ja, es war so«, fuhr Baptiste in aller Ruhe fort, »der Postbote ist gerade gekommen. Mit einem Brief. Gut. Ich trage die Post zu Madame in den kleinen Salon. Kaum habe ich mich entfernt, höre ich einen Aufschrei und ein Geräusch, als ob jemand zu Boden fällt«
    Baptiste verstand es durch seine umständliche Art, die Angst seines Herrn ins unermeßliche zu steigern.
    Â»Nun red doch schon!« sagte der Bürgermeister aufgebracht.
    Â»Natürlich«, der Diener ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, »mache ich sofort die Tür zum kleinen Salon wieder auf. Was sehe ich da? Madame lang auf dem Boden liegen. Großer Gott, ich rufe um Hilfe, das Zimmermädchen kommt, dann die Köchin, all die anderen, und wir tragen Madame zu ihrem Bett. Mir war, als wäre das ein Brief von Mademoiselle Laurence gewesen, der Madame in diesen Zustand versetzt hat, hat Justine zu mir gesagt...«
    Der Diener, den man nie ausschimpfte, stand dicht davor, Schläge zu kriegen. Bei jedem Wort hielt er inne, zögerte, überlegte; seine Augen jedoch standen im Widerspruch zu dem reuigen Gesicht und verrieten die Genugtuung, die er empfand, daß seinen Herrn ein solches Mißgeschick ereilt hatte.
    Dieser Herr, nun, er war außer sich. So wie es uns allen gehen mag, wenn uns ein Unglück ereilt und wir nicht wissen, was wir tun sollen, zitterte er und hatte Angst davor, Näheres zu erfragen. Er war niedergeschlagen und entgeistert und jammerte, anstatt loszulaufen.
    Vater Plantat machte sich das zunutze, um den Dienstboten zu befragen; dabei blickte er ihn so durchdringend an, daß der Bursche keine Ausflüchte zu machen wagte.
    Â»Wie denn das?« fragte er. »Ein Brief von Mademoiselle Laurence, demnach ist sie gar nicht hier?«
    Â»Nein, Monsieur, sie ist vor acht Tagen für einen Monat zu einer Schwester von Madame gefahren.«
    Â»Und wie geht es Madame Courtois?«
    Â»Besser, Monsieur, allein sie schreit und wimmert zum Gotterbarmen.«
    Der unglückliche Bürgermeister hatte sich von dem Schock erholt. Er packte seinen Bediensteten am Arm.
    Â»Aber so komm doch schon, Unglücksrabe«, rief er aufgebracht, »nun komm doch schon!«
    Und sie liefen hinaus.
    Â»Armer Mann«, meinte der Untersuchungsrichter, »seine Tochter ist vielleicht gestorben.«
    Vater Plantat schüttelte traurig den Kopf.
    Â»Wenn es nur das wäre«, sagte er und fügte hinzu: »Erinnern Sie sich der Andeutungen von Jean Bertaud, Monsieur?«
    * * *
    D er Untersuchungsrichter, Vater Plantat und der Doktor wechselten einen besorgten Blick. Welches Unglück hatte wohl Monsieur Courtois, den geschätzten und trotz seiner Anwandlungen von Eitelkeit so fähigen Mann, heimgesucht. War das etwa ein Tag voller schlimmer Nachrichten?
    Â»Wenn das Tönnchen etwas angedeutet hat«, meinte Monsieur Lecoq, »so habe ich immerhin in den beiden Stunden, in denen ich hier bin, zwei höchst interessante Geschichten gehört. Es scheint, daß die Mademoiselle Laurence...«
    Â»Verleumdungen!« rief Vater Plantat dazwischen. Ȇble Verleumdungen! Die Armen sind eifersüchtig auf die Reichen und wissen nichts Besseres zu tun, als sich über sie den Mund zu zerreißen. Geben Sie nichts darauf. War es nicht schon immer so? Ohne sich dessen bewußt zu werden, lebt der Bürger, vor allem in den kleinen Städten, wie in einem Glaskäfig. Tag und Nacht wird er von argwöhnischen Augen belauert, jeder seiner geheimsten Schritte wird ausgespäht und gegen ihn verwandt. Zufrieden und stolz geht er seinen Geschäften nach, erfreut sich der Wertschätzungen, ja der Liebe unter seinesgleichen, und wird währenddessen in den unteren Schichten schlechtgemacht, in den Dreck gezogen, besudelt. Meinen Sie, daß Neid vor irgend etwas zurückschreckt?«
    Â»Sollte Mademoiselle Laurence verleumdet worden sein«, meinte Doktor Gendron lächelnd, »so ist ihr zumindest ein guter

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